Wie lässt sich die unvorstellbare Grausamkeit von Josef Fritzl erklären? Wissenschaftler gehen der Frage nach, was den verurteilten Täter mit Serienmördern verbindet
Das monströse Geschehen um Josef Fritzl zu verstehen, heißt auch, es ein Stück weit seiner Monstrosität zu entkleiden. Wer Fritzl näher kannte, sah hinter der Fassade des Biedermannes einen unflexiblen, auf seiner Meinung beharrenden Tyrannen. Einschüchterung und Gewalt waren probate Mittel – schon immer, auch in seiner Kindheit mit einem abwesenden Vater und einer Angst einflößenden und misshandelnden Mutter.
Doch wie konnte es ihm immer wieder gelingen, eines der elementarsten Tabus zu brechen, den in allen Gesellschaften geächteten Inzest? Vielleicht begreifen wir diesen Täter besser, wenn wir es mit einem anderen extremen Tätertyp vergleichen, dessen Persönlichkeitsstruktur mit der von Fritzl frappierende Ähnlichkeiten aufweist.
Die Rede ist vom Serienmörder, vom organisierten, sadistischen Täter, wie beispielsweise Gary Heidnik einer war, der in den 80er-Jahren in den USA sein Unwesen trieb. Auch er baute den Keller seines Hauses zu einem Gefängnis um und hielt dort in einer Grube angekettet mehrere Frauen fest. Er ließ sie fast verhungern und vergewaltigte sie immer wieder. Wenn sie sich wehrten, folterte er sie mit Elektroschocks.
Diese Serienmörder planen ihre Taten akribisch und spielen jede Möglichkeit in Gedanken durch, um auf alles vorbereitet zu sein. So nehmen sie Tatwerkzeuge, wie etwa Waffen, Knebel oder Fesseln, mit sich, dominieren und quälen ihre Opfer. Das primäre Ziel ist weniger die sexuelle Befriedigung als die Ausübung von Macht über das Opfer.
So installierte auch Fritzl nicht nur ausgefeilte Sicherheitseinrichtungen und drohte seinen Gefangenen mit Gas und Sprengstofffallen. Er baute eine Gummizelle, prügelte und missbrauchte seine Tochter immer wieder. Er täuschte seine Familie, die Behörden und alle, die ihn kannten, dass seine Tochter Mitglied einer Sekte geworden sei.
Am Anfang steht immer die Fantasie. Seine Vorstellungen sind allerdings gewalttätiger Natur und von der Unterwerfung eines menschlichen Wesens geprägt. Sie bieten dem Täter Befriedigung und werden zum Mittelpunkt seines Lebens. Irgendwann verspürt er den Drang, in der Realität zu erleben, wovon er so lange geträumt hat.
Wie sehr Erinnerungen eine Rolle spielen, bewies auch Volker Eckert, ein Lastwagenfahrer, der auf seinen Fahrten durch Europa mindestens sieben Prostituierte tötete und der Polizei vor vier Jahren ins Netz ging. Schon 1974 erdrosselte er ein 14-jähriges Mädchen. Er fotografiert die Leichen und schneidet ihnen Haarbüschel ab, die er aufbewahrt, um sich später damit zu befriedigen.
Die meisten Serienmörder nehmen sich „Souvenirs” vom Tatort mit, um das Verbrechen und die damit verbundene Erregung in Gedanken immer wieder durchleben zu können. Einige gehen noch einen Schritt weiter und versuchen, sich lebende Trophäen in Form eines „Sexsklaven” zu erschaffen, wie Jeffrey Dahmer. Der homosexuelle Kannibale tötete in den USA zwischen 1978 und 1991 mindestens 15 junge Männer.
Auch Fritzl degradierte seine Tochter durch körperliche und seelische Gewalt zu einer ihm immer zur Verfügung stehenden Sklavin. Ähnlich wie die meisten Serienmörder war auch er sich des Unrechts seiner Taten bewusst – und damit schuldfähig. Den Serienmördern wie dem Sklavenhalter Fritzl gelingt es, durch das jahrelange Durchleben von Wunschvorstellungen dem Opfer eine Rolle aufzuzwingen, die zur Befriedigung des Täters umdefiniert wird. Der Täter betrachtet das Opfer als wertlos, was dadurch verstärkt wird, dass ihm keine Möglichkeit der Gegenwehr bleibt. Die Diskrepanz zwischen Begierde und Unrechtsbewusstsein wird durch Selbsttäuschung („das Opfer wollte es”) und Schuldumkehr („das Opfer hat sein Schicksal selbst zu verantworten”) überwunden.
So antwortete Fritzl auf die Frage, warum er es getan habe, emotionslos, dass er seine Tochter schützen wollte, da sie sich in Bars herumgetrieben habe. Alles andere habe sich eben so ergeben.
Beim Serienmörder wie beim Inzestfanatiker liegt die Motivation vor allem in der Gier, die eigenen Begehrlichkeiten auszuleben, und in dem Gefühl, Kontrolle über das Opfer zu haben. Die Fantasien werden zur Sucht, wie auch der Fall des Bäckereibesitzers Robert Hansen zeigt: Hansen, der in Alaska lebte, tötete dort in den 80er-Jahren mindestens 17 Frauen. Er entführte und vergewaltigte sie, flog dann mit ihnen in seinem Sportflugzeug in die Wildnis, wo er sie vermeintlich frei ließ, um sie dann zu jagen.
Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen dem Täter von Amstetten und Serienmördern wie Hansen. Aktiv getötet scheint Fritzl nicht zu haben, vielleicht, weil die von ihm geschaffene Situation so vollkommen seinen Wünschen und Vorstellungen entsprach. Die Möglichkeit dazu hätte er jedenfalls gehabt.
Am Ende scheint Fritzl der Situation überdrüssig geworden zu sein, wie es immer wieder bei Serienmördern vorkommt. Ihre „Karriere” ist durch akribisches Planen bis ins kleinste Detail gekennzeichnet. Irgendwann machen sie einen Fehler, der so offensichtlich ist, dass sich die Frage aufdrängt, ob dahinter nicht der, wenngleich unbewusste Wunsch steht, dem Töten ein Ende zu setzen. So scheint Fritzl geplant zu haben, seine Tochter und die drei mit ihr eingekerkerten Kinder freizulassen. Auch war ihm sicherlich das Entdeckungsrisiko bewusst, als er mit Elisabeth das Krankenhaus aufsuchte.
Nach seiner Verhaftung versuchte Fritzl zunächst, die Maske des Biedermannes aufrecht zu halten. Dass sein Geständnis von Mitgefühl oder gar Reue getragen war, ist zweifelhaft. Wahrscheinlich wurde ihm die Ausweglosigkeit der Lage bewusst, dass er nun nicht mehr manipulieren und lügen konnte. Die Ironie der Geschichte aber will es, dass die lebenslange Haft angesichts seines Alters vermutlich weit kürzer ausfallen wird als die seiner Opfer.
Die Diplom-Sozialwissenschaftlerin Sabine Jänike hat eine Studie über Serienmörder verfasst. Hermann Strasser ist emeritierter Professor am Institut für Soziologie an der Uni Duisburg-Essen.