Berlin/Frankfurt. Krisenangst und Flucht aus der schwachen US-Währung lässt den Goldpreis auf über 1000 Dollar pro Unze schnellen
Der Schatz liegt im Keller. Heiko Ganß, Geschäftsführer des Edelmetall-Händlers Aurum in Berlin, steigt die Wendeltreppe hinunter. Zwei mannshohe Tresore stehen hier, die 35 Zentimeter dicken Stahltüren stehen offen. Auf den Borden liegen sie: Gold-, Platin-, Silbermünzen und Barren jeder Größe und Herkunft.
Deutschland im Goldrausch
Der Goldpreis kennt derzeit kein Halten – zumindest in der US-Währung gerechnet. Auf über 1070 US-Dollar kletterte der Preis für die so genannte Feinunze mit ihren 31,1 Gramm am gestrigen Mittwoch in New York. Experten erwarten einen weiteren Anstieg, einige prognostizieren für die nächste Zeit eine Bergfahrt bis 1400 Dollar je Feinunze – obwohl die schärfste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten langsam abklingt und obwohl kurz- und mittelfristig keine übermäßige Inflation droht. Normalerweise gilt Gold in solchen Fällen als Krisenwährung.
Deutschland lebt im Goldrausch. An den vorläufigen Höhepunkt kann sich Ganß bestens erinnern. „Die Leute standen bis auf die Straße. Wir waren nahezu ausverkauft.” Selbst Säckchen mit Goldkrümeln nahmen die Leute mit, nur, um nicht leer auszugehen. Es waren die Tage im Oktober 2008, nachdem Kanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück verkündet hatten, dass der deutsche Staat die Spareinlagen der Bundesbürger garantiere.
Anleger flüchten ins Metall
Die jetzige Entwicklung hat mit einer anderen als einer Vertrauenskrise zu tun: der anhaltenden Schwäche des US-Dollars, der angesichts der massiven Verschuldung der USA mehr und mehr seinen Nimbus als Leitwährung zu verlieren droht. Anleger flüchten deshalb aus dem Dollar ins Metall. Dabei kaufen sie in der Mehrzahl offenbar nicht direkt Gold, sondern setzen auf Goldfonds, die an der Börse gehandelt werden. Die Fonds müssen „echtes” Gold als Sicherheit hinterlegen. Seit Jahresanfang stiegen ihre
Stiftung Warentest sieht Gold als Wertanlage kritisch. Hohe Kaufaufschläge, fehlende Dividende und Zinsen sind der Preis, den Anleger für die Krisen- und Inflationsfestigkeit von Gold zahlen. Dazu kommt das Währungsrisiko, denn Gold wird in US-Dollar gehandelt. Infolge dessen Schwäche ist Gold in Euro gerechnet seit dem Höchstand von Februar mit 770 Euro deutlich billiger geworden.
Über 30 Jahre betrachtet schaffte Gold bis 2009 im Jahresschnitt eine Rendite von 3,75 Prozent, während es deutsche Wertpapiere auf 8,2 Prozent brachten. Besser sieht es für die vergangenen zehn Jahre aus, in denen sich der Goldkurs verdreifacht hat.
Die Warentest-Experten raten Privatanlegern, nicht mehr als zehn Prozent ihres Vermögens in Gold zu stecken. Sie sollten auf die gängigen Münzen setzen. Bei einem Goldanteil von einer Unze (31,1 Gramm) liegt der Aufpreis bei zehn, bei Zehntelunzen bei 30 Prozent (siehe auch das tägliche Börsentableau im Wirtschaftsteil dieser Zeitung). Ob das ein weiter steigender Kurs hergibt, ist reine Spekulation. Alternative sei die Anlage in Wertpapiere und entsprechende Fonds von Goldminen, die aber ebenfalls als hoch spekulativ gilt.
Bestände um über 40 Prozent. Die Angst vor den Krisenfolgen hat Deutschland zum Goldstaat Nummer eins gemacht. Die Anleger haben im vergangenen Jahr 108 Tonnen Gold gekauft – mehr als in jedem anderen Land der Welt. Goldshops und Ankaufsstellen seriöser wie windiger Art sprießen allerorten. Die Nachfrage scheint keine Grenzen zu kennen.
Wertanlage und magisches Gut
Weltweit standen im vergangenen Jahr 3436 Tonnen Gold zur Verfügung, davon 2385 Tonnen aus Minen und immerhin 1108 Tonnen aus Recycling. Größter Nachfrager war die Schmuckindustrie mit 2137 Tonnen.
Der doppelte Charakter des Goldes als Wertanlage und magisches Gut ist nirgendwo besser zu erkennen als dort, wo der Stoff geschmolzen wird. An die Firma Heraeus in Hanau liefern Juweliere alten Schmuck und beziehen Händler wie Ganß ihre Barren. „Es ist ein Material wie viele andere”, sagt die 43-jährige Recycling-Leiterin Stephanie Künesch.
Aber spätestens beim Gießen kehrt die Faszination zurück: „Es hat eine wunderbare, warme, orangerote Farbe”, sagt die Goldschmiedin, „es sieht doch sehr schön aus.” Und ihr Gesicht glänzt dabei.