Nach einer langen Durststrecke geht es dem deutschen Wein blendend. Wer sich im Weinberg um Spitzenqualität bemüht, hat - trotz stattlicher Preise - die geringsten Absatzsorgen. ...

... Besonders Riesling verkauft sich exzellent.Man reißt sich um ihn von Oslo bis Japan. Die Winzer-Debatte um ein deutsches "Terroir" war nicht unumstritten - doch sie hat mitgeholfen, das Überleben im globalen Weindorf des 21. Jahrhunderts zu gestalten Die Franzosen, hat neulich ein alter Franzose und gestandener Winzer gesagt, seien sauer. Weil jetzt auch andere mit einem Zauberwort ihren Wein verkaufen, das bislang doch nur ihnen zustand: "Terroir". Terroir ist unübersetzbar. Weil es so ein einfaches Wort ist.

Es heißt bloß Gegend oder Boden, meint aber einen ganzen Kosmos. Städteplaner würden von "Standortfaktoren" sprechen. Aber Rebstöcke sind keine Städte. Sie bringen gute oder schlechte Trauben, weil es an den richtigen Tagen heiß und in den richtigen Nächten kalt ist, weil der Winkel, in dem die Sonne sie anstrahlt so oder so ist, weil es unter dem fruchtbaren Boden nicht nur Halt für tiefe Wurzeln gibt, sondern uralte Ablagerungen der Weltwerdung, die das Nährstoffangebot des Weinstocks bis heute beeinflussen. Und weil der Winzer genau weiß, was er pflanzt oder besser nicht. Außerdem ist es windig oder eine Mauer hält schlimmste Wetter ab, wenn nicht wie in Saale-Unstrut (kein Werbegag dieses deutschen Anbaugebiets) alle Stunde ein ICE durchs Tal saust, die Luft verwirbelt und den Frost vertreibt . . .

Sie sehen schon: Man könnte aus diesem kleinen Begriff leicht einen ganzen Katalog meißeln. Man kann die Debatte, die die Szene schon länger führt und die immer mehr Genießer erreicht, auch einfach umbenennen: Quo vadis, deutscher Wein?

Denn die Terroir-Diskussion - in Deutschland maßgeblich angestoßen durch den so erfolgreichen wie unkonventionellen Reinhard Löwenstein (sie nennen ihn den "Terroiristen") - ist nicht zuletzt eine Qualitätsdebatte.

Wer Klartext redet, und das tun viele deutsche Winzer, weiß, dass man im globalen Weindorf des 21. Jahrhunderts nur wird überleben können, wenn man unverwechselbar ist, wenn ein Produkt eine klare Identität hat, mit der man einer preiswerten Massenproduktion gegenübersteht, der die Deutschen langfristig nicht Paroli bieten können.

"Einen einfachen Supermarktwein", sagt ein Winzer von der Untermosel, "können die Amerikaner einfach besser machen als wir. Natürlich sind unsere polnischen Lese-Helfer gemeldet und werden ganz anständig bezahlt. Der Ami hat Mexikaner ohne Pass - und zahlt einen Dollar pro Stunde. Wenn in kleinen deutschen Weingütern der Opa nicht kostenlos die Abfüllung machte und die Schwägerin bei der Weinprobe helfen würde, wären die längst pleite."

Wenn man nicht gerade die weiten Weingärten der Pfalz durchpflügt, ist die Pflege und Ernte der Reben von Saar bis Ahr unstreitbar ein steiles, höchst arbeitsintensives Geschäft. Man hat errechnet, dass die maschinellen Lesekosten bei 450 bis 600 Euro pro Hektar liegen. Manuell explodiert der Preis: 800 bis 1200 Euro. Eine Spitzen- oder Steillage in Boppard oder Braune-berg schafft aber keine Maschine - fast alles Handarbeit.

Und erst die Masse: Nahezu das Doppelte wird in den USA pro Hektar geerntet. Dass die Tour aus den Staaten in den deutschen Discounter weit ist, macht kaum etwas. Die Transportwege innerhalb Europas gestalten sich bisweilen kostenintensiver als die Reise einer australischen Flasche zum Hamburger Hafen.

Es ist nicht zuletzt eine kluge Überlebensstrategie, sich neu auf den Boden und das spezifische Mikroklima zu besinnen und damit einen Gegenentwurf zu bieten zu jener Allgegenwart des Austauschbaren, zu jenen "Flying Winemakers", die die ganze produzierende Weinwelt beglücken und jeden, aber auch jeden Roten dazu kriegen, dass er am Ende den Modegeschmack bedient, aktuell also viel Frucht und ein bisschen Vanille . . .

Doch kostbar ist, was knapp ist. Kein Wunder, dass es deutschem Spitzenwein international blendend geht. Allen voran: Riesling. Von der Saar, den Steillagen der Mosel, vom Buntsandstein Rheinhessens. Man trinkt ihn (ob durchgegoren oder edelsüß) für teures Geld in Oslo, man treibt Kult um ihn in Tokio, man ordert ihn in New Yorks Restaurants.

Mag nicht jeder Fan in Übersee die deutsche Terroir-Debatte auf den Lippen führen: Er weiß aufgrund der abgezirkelten Einzellagen wie Winkeler Jesuitengarten oder Winninger Uhlen ziemlich genau, was ihn erwartet.

Währenddessen hissen hier immer mehr die Bodenflagge. "Auf die Plätze, fertig . . . Löss" wirbt einer. Muschelkalk als steinharten Traumpartner schmelziger Silvaner besingen Frankens Güter. Ein Moselwinzer nennt seinen Wein "nach dem Schiefergestein auf dem er wächst": Devon.

Doch schon erheben sich Gegenstimmen, die sagen, das Verkostungslob "mineralisch" sei ein Humbug, weil Mineralien doch eigentlich gar keinen Geschmack hätten. Als Gestein nicht - im Wein aber unüberschmeckbar, weisen wisschenschaftlich Professor Otmar Löhnertz und sein Team von der renommierten Forschungsanstalt Geisenheim nach. Löhnertz' Fachgebiet ist Bodenkunde und Pflanzenernährung. Inzwischen habe er, sagt Löhnertz, eine ziemlich gute Trefferquote, bei Blindverkostungen die Böden zu erkennen: Löss, Ton, Kalk, Schiefer. Er schmeckt sie alle.

Für Peter Seyffardt, Chef des Rheingauer Weinguts Diefenhardt, ist das Terroir-Thema ein willkommenes Argument, die Abkehr von jener Agrarpolitik zu vollziehen, die "Winzern nahelegte, möglichst billig möglichst viel zu produzieren". Kollegen hätten sich - auch an Mittelrhein oder Mosel - von wunderbaren Lagen getrennt, "weil sie die Qualität nicht bezahlt bekommen haben und abstießen, was Handlese bedeutete." Solche Flächen, die als unrentabel galten, hat er rund um Martinsthal aufgekauft. Heute, Jahre später, neidet ihm mancher die Top-Terroirs, die ihm, welch' Wunder, nicht die geringsten Absatzsorgen bereiten.

Die meisten derer, die sich für die aufwändigere Produktion als authentisches Spiegelbild ihrer Heimat entschieden haben, klagen kaum, dass man ihre Preise (bei manchen geht es erst ab 12 E los) nicht zahlt. Im Gegenteil: "Ich kann die Nachfrage gar nicht immer befriedigen", sagt Reinhard Löwenstein.

Von den besten Zeiten deutscher Weinexporte sind er und seine Kollegen aber doch noch ein Stück entfernt. Anfang des 19. Jahrhunderts zahlte man in England für einen Rheingau-Riesling das gleiche wie für einen "Château Lafite" - was die Franzosen (siehe oben) auch damals schon relativ persönlich genommen haben sollen.

Kommentar: Deutscher Wein

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