Anneliese Brost hat die Erfolgsgeschichte der WAZ von der ersten Minute an miterlebt. Und sie gehörte zu dem kleinen intimen Kreis, in dem 1947 in einer dramatischen nächtlichen Diskussion die Entscheidung für eine neue Zeitung für das Ruhrgebiet fiel.

Wie alles begann. . .

Die junge Frau muss ihn wohl schon bei der ersten Begegnung beeindruckt haben, damals im kriegszerstörten Dortmund. Das war 1946, und Anneliese Brinkmann arbeitete als Sekretärin bei der gerade erst von den Briten lizenzierten Westfälischen Rundschau.

Und der, den sie dort traf, hieß Erich Brost, war der erste Chefredakteur der Neuen Rhein/Ruhr Zeitung in Essen. Bei einem Besuch des Chefredakteurs der Rundschau hatte er Anneliese Brinkmann kennen gelernt. Sie konnte nicht ahnen, dass dies der erste Moment einer Verbindung war, aus der Jahrzehnte danach einer der größten Medienkonzerne Europas hervorgehen sollte. Sie konnte nicht wissen, dass sie Jahrzehnte später den Namen Brost tragen würde und dass sie Verlegerin und Gesellschafterin eben dieser Mediengruppe werden würde.

"Er fragte mich, ob ich seine rechte Hand werden wolle"

Der Großvater hatte ihr die Stelle bei der Rundschau besorgt. Arbeit gab Sicherheit in jenen Tagen nach der NS-Barbarei. Eigentlich hatte sie andere Pläne verfolgt. Sie wollte Betriebswirtschaft studieren, doch 1938 hatten ihr die Nazis einen Studienplatz verwehrt.

Diese NS-Jahre – Anneliese Brost hat bisher nie öffentlich darüber gesprochen. „Das ist vorbei”, sagte sie, und „wir haben es überlebt”. Jetzt gab sie erstmals einen Einblick in diese für sie schwere Zeit. Da war der frühe Tod des Vaters, einem Bochumer Pferdehändler, den sie als Zwölfjährige verlor. Da ist noch die Bitterkeit, ausgelöst von den Nachstellungen des Hitler-Regimes gegenüber ihrer sozialdemokratischen Familie. Die SA verbrannte ihre Bibliothek auf dem Marktplatz und trieb ihnen die Pferde aus dem Stall – „konfiszieren” nannten sie das. Mit ihrer Mutter – sie war eine engagierte Frauenrechtlerin und Bekannte von Marie Juchacz, der Begründerin der Arbeiterwohfahrt – hatten sie sich immer wieder bei Freunden verstecken müssen. Oft wussten sie nicht, wo sie in der Nacht Obdach finden würden.

"Erich Brost hatte eigentlich eine politische Karriere machen wollen"

Hier wird Gemeinsames mit dem Sozialdemokraten Erich Brost erkennbar, der vor der Verfolgung durch die Nazis in Danzig durch halb Europa emigrierte und Hitlers Untergang dann in London erlebte. Seit der ersten Begegnung in Dortmund '46 hatte Anneliese Brinkmann wiederholt mit ihm gesprochen, und doch kam der Anruf im Jahr später überraschend: „Er fragte, ob ich seine rechte Hand werden wolle, wenn er eine neue Zeitung machen würde.”

Kurz zuvor hatten die Briten Brost angeboten, ein politisch unabhängiges Blatt für das Ruhrgebiet zu gründen. Eine reizvolle Aufgabe war das, doch Brost war unentschlossen. Denn: „Er hatte eigentlich eine politische Karriere machen wollen. Er war ja der Verbindungsmann der SPD-Führung zu den Besatzungsmächten in Berlin”, sagt Anneliese Brost. „Außerdem machte er seine Entscheidung davon abhängig, ob ich bei der neuen Zeitung mitmachen würde.”

"Die Menschen rissen uns die Zeitung regelrecht aus der Hand"

Und so kam es im Herbst 1947 zu einer dramatischen Besprechung, die man getrost historisch und die eigentliche Geburtsstunde der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung nennen kann. Bis in die Nacht hinein diskutierten Erich Brost, Anneliese Brinkmann und ihre Mutter über das große Projekt. Offenbar konnte die Mutter den Zögernden letztlich doch mit ihren Argumenten überzeugen, dass es richtig sei, die neue Zeitung für das Ruhrgebiet herauszugeben.

Woche für Woche ist Anneliese Brost in Ihrem Büro. (Bild: WAZ / Jakob Studnar)
Woche für Woche ist Anneliese Brost in Ihrem Büro. (Bild: WAZ / Jakob Studnar) © WAZ / Jakob Studnar

„Das Wunder 192” hieß eine TV-Dokumentation des ZDF in den frühen 70er Jahren. Die „192” bezog sich auf die britische Lizenz 192 zur Herausgabe der WAZ. Diese ZDF-Dokumentation bestaunte seinerzeit den kometenhaften Aufstieg der neuen Zeitung. In der Tat: 1949, nur ein Jahr nach der Gründung, betrug die Auflage 327 000 Exemplare. Bei 250 000 lag sie beim Start.

Leicht war der Anfang indessen nicht: „Wir hatten kein Geld und keine Leute.” Aber Erich Brost kannte Jakob Funke von der NRZ. Der kannte sich im Ruhrgebiet aus, hatte beste Verbindungen und war ein kaufmännischer Kopf – er wurde Partner bei der Gründung der WAZ. Per Bankkredit kam das Startkapital.

Es kamen auch die Leute: Einige kannte Brost noch aus der Danziger Zeit. Nicht alle waren vom Fach, so beispielsweise der Mann namens Arthur Kaesling. Er war beim Finanzamt in Danzig und zeichnete nun und schrieb Glossen für die WAZ. Die wurde anfangs in Bochum gemacht. In Bochum, weil da eine Druckmaschine den Krieg überlebt hatte. Eng war es dort, und eine Schreibmaschine entfiel auf mehrere Redakteure. Abends schraubten sie die Glühbirnen heraus – Diebstahlgefahr! Ein VW als Dienstwagen, den hatten die Briten gespendet. Ansonsten „stellten wir Leute ein, die ein Auto besaßen”. Die WAZ – dreimal wöchentlich vier Seiten – wurde auf Straßen und Plätzen verkauft: „Die Menschen rissen uns die Zeitung regelrecht aus der Hand.”

Und mit dem Bezug des neuen Verlagsgebäudes in Essen im Jahr 1953 fing die Erfolgsgeschichte dann im großen Stil an. Aus jenen bescheidenen Provisorien zwischen den Ruinen des Reviers ist die heutige Mediengruppe geworden.

"Wozu brauchen wir denn ein Chalet in der Schweiz?"

Erich Brosts erste Frau verstarb 1966. Neun Jahre später heiratete er seine engste Vertraute: Anneliese Brinkmann. Sie hätten im Überfluss leben können; der wirtschaftliche Erfolg hätte ihren Wünschen keinerlei Schranken gesetzt. Doch Luxus war ihre Sache nicht, so wie sie auch das Private stets verbargen. In ihrem Haus im Essener Süden zeugt nichts von Geltungstrieb oder Prunk. Heimstatt bürgerlicher Gediegenheit und innerer Ruhe ist es geblieben. Niemals zog es die Brosts zu den Glamour-Stätten des Sehens und Gesehen-Werdens dieser Welt – sie besuchten alte Freunde und Vertraute in Dänemark, Finnland, Schweden und England; den Stationen seiner Emigration. Erholt haben sie sich in Italien: „Venedig war damals schön, und seine Geburtstage haben wir immer in Danzig gefeiert.”

Für andere hat sich Anneliese Brost seit Jahrzehnten sozial und kulturell engagiert. Ihre erste Stiftung entstand aus ihrem Hochzeitsgeschenk. Und zwar so: „Ich hatte mir ein Chalet in der Schweiz gewünscht. Aber dann sagte er: Wozu brauchen wir ein Chalet in der Schweiz. . .? Erstens würden wir da nie wohnen, und zweitens wäre man gezwungen, dann und wann mal hinzufahren, um nach dem Rechten zu sehen, und das könnten wir alle beide nicht.”

"Es war eine wunderbare Zeit mit ihm"

Das klang überzeugend, und so hat Anneliese Brost ihr Hochzeitsgeschenk für einen anderen Zweck eingesetzt: Sie war im Kuratorium eines Essener Kinderheims, das Kinder aus gefährdeten Familien betreut. Doch es fehlten dort Pädagogen für den schulischen Unterricht, und die Stadt hatte dafür kein Geld: „Doch inzwischen haben wir dort vier Pädagogen.” Ihr Engagement war jedoch vielfältiger. Sie unterstützte die Arbeiterwohlfahrt und hat das Anneliese-Brost-Zentrum, ein Seniorenwohnheim, gegründet. Auch förderte sie Projekte zur deutsch-polnischen Verständigung, das Folkwang-Museum und die ehemalige Zeche Zollverein.

Erich Brost ist wenige Tage vor seinem 92. Geburtstag 1995 gestorben. Sie sagt: „Es war eine wunderbare Zeit mit ihm.”