Vor 100 Jahren wurde Herbert von Karajan geboren. Im Leben dieses Mannes spiegelt sich nicht zuletzt ein bewegtes Jahrhundert – er war auch der "Dirigent des Wirtschaftswunders".
„Das haben wir noch nie gemacht.” „Ich glaube, Sie werden mir in fünf Minuten Recht geben.” „Ja, aber wir kennen doch das Stück.” „Das werden wir sehen.”
Der, der dem erlauchten Kreis der Berliner Philharmoniker 1938 mit dem Wagemut des Dreißigjährigen geteilte Proben mit einzelnen Orchestergruppen aufdrückte, war Herbert von Karajan, der am heutigen 5. April 100 Jahre alt geworden wäre. Er ließ die Bratscher die schwierigsten Passagen alleine spielen. „Die gingen überhaupt nicht”, erinnerte er sich später. Damals war er Generalmusikdirektor in Aachen, wo er mit 27 als jüngster GMD Deutschlands angetreten war. Das war 1935.
Ob sein (zweifacher) Eintritt in die NSDAP (zuvor schon in seiner Geburtsstadt Salzburg) mehr Bekenntnis war oder ein der Blitzkarriere geschuldeter Kollateralschaden, dessen Bedeutung er sich damals nicht recht bewusst war, sei dahingestellt. Karajan verstand es später stets, peinliche Fragen auszuklammern.
Karajan, das war mehr als Musik, mehr als der Dirigent, der 1955 Wilhelm Furtwängler als Chef der Berliner Philharmoniker beerbte. Karajan, das war Glamour, ein Leben in Luxus, an dem der „Dirigent des Wirtschaftswunders” die Medien bereitwillig teilhaben ließ. Etwa 1958, als der 50-Jährige seine dritte Frau Eliette heiratete, ein 19-jähriges Model. Sie lebt bis heute in der Villa in Anif bei Salzburg, wo Karajan am 16. Juli 1989 an Herzversagen starb. Bis heute sind die Zimmer unverändert.
Dem Bild des Jetsetters mit Privatflugzeug, Yacht, Rolls-Royce und Sportwagen (und Faible für Technik: neben Musik hatte er Maschinenbau an der TH Wien studiert) wird zuweilen der bescheidene private Karajan entgegengesetzt: große Villen, kleine Einrichtung. Der Medienhype sei ihm gar mehr oder weniger aufgezwungen worden. Dem steht die Schilderung eines Musikers entgegen, der von einem Double berichtet, das die Dirigentenposen spielte, während Karajan die Kamera justierte.
Das verfilmte Konzert sollte überhaupt sein Vermächtnis sein: Mit der von ihm gegründeten Firma Telemondial zeichnete er Werke auf, saß Monate am Schneidetisch. Doch der Erfolg blieb hinter den Erwartungen zurück. Die bereits damals problematische Dramaturgie des Pathetischen wirkt erst recht aus der historischen Distanz befremdend.
Was bleibt, ist sein entschlacktes Klangbild. Hitler, der Herbert von Karajan eh mit Skepsis begegnete, fand dessen Meistersinger zu wenig „deutsch”. Karajans Einspielung der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen” hat Wagner als Klangwelt neu entdeckt.
Was natürlich bleibt, sind die Beethoven-Sinfonien, zumindest die frühe Einspielung mit dem Philharmonia Orchestra und die erste Stereoaufnahme aus den frühen 60er Jahren mit den Berlinern. Als anrührendes Dokument vielleicht die letzte Aufnahme, eine wundervolle 7. Bruckner mit den Wiener Philharmonikern, dem zweiten Orchester intensiver Zusammenarbeit. Selbstredend einige Opern, La Bohème etwa oder die frühen Mozart- und Strauss-Aufnahmen (Karajan war ein versierter „Sängerdirigent”, nebenbei der erste Deutschsprachige, der an der Mailänder Scala prägend tätig war).
Um Streitigkeiten mit Regisseuren zu vermeiden, inszenierte Karajan kurzerhand selber, schuf sich 1967 mit den Salzburger Osterfestspielen aus seiner Sicht ideale Bedingungen.
Doch die Lichtgestalt musste auch Situationen des Scheiterns erleben: Etwa das Gerangel um die Klarinettistin Sabine Meyer, die Karajan dem philharmonischen Herrenclub aufzwingen wollte, der Anfang des Zerwürfnisses. Das war „Zirkus Karajani” (wie die Berliner Schnauze die Philharmonie zu dieser Zeit zu nennen pflegte) der ganz anderen Art.