Tina Dico verließ ihre Heimat Dänemark, weil sie das Gefühl braucht, eine Fremde zu sein.Sie fand es in London, wo ihr neues Album "Count to Ten" entstand

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© Universal

Als neue Joni Mitchell wurde sie vor fünf Jahren gefeiert. Seitdem hat sich die dänische Singer-Songwriterin Tina Dico verändert. Gut leben kann sie mit dem Vergleich aber noch immer: "Was ich heute noch ständig höre, sind ja diese frühen Werke von Joni Mitchell oder Bob Dylan. Wie der auf seiner Klampfe rumhämmert - großartig. Da hat sich mein Geschmack in den letzten 15 Jahren nicht verändert. Ich mag dieses Puristische, dieses noch Ungeschliffene, dieses Rohe in der Musik."

Tina Dico mag das Wort "roh". Das benutzt sie derzeit häufig - immer dann, wenn es um ihr neues, viertes Album "Count To Ten" (Universal) geht, das in Deutschland am 29. Februar erscheint. Darauf: zehn dezente, tiefsinnige Songs und zehn Musiker. Mit Geige, Cello, Trompete, Saxophon, Klavier, Gitarre, Schlagzeug und so weiter. Aber so behutsam und zurückhaltend gespielt, dass das wichtigste Instrument dieser Produktion über allem thront: Tina Dicos eindringliche Stimme.

Die kennen Radiohörer eher als ihren Namen. "Head Shop" vom dritten Album "In The Red", dem ersten auf dem deutschen Markt, läuft noch immer in der Rotation. "Die CD war von der Plattenfirma für meinen internationalen Durchbruch konzipiert", sagt Tina Dico. Als sie vor sechs Jahren von Dänemark nach London zog, sei sie durch die Tretmühle von Songschreibern geschickt worden: "Die sahen in mir eine blonde Sängerin, die schnell einen Radiohit braucht."

Dabei weiß Tina Dico selbst, was gut für sie ist. Bereits mit 23 gründete sie ihr eigenes Label. Heute, mit 30, lässt sich die Dänin nichts mehr aus der Hand nehmen. Alle zehn Songs des neuen Albums hat sie selbst komponiert und produziert. "Die Texte spuken immer noch vor der Musik in meinem Kopf herum", erzählt sie. Mitten in der Nacht sitze sie in einem Taxi, verfolge in dieser kleinen geschützten Welt durch die Autofenster das hektische Treiben draußen. "Daraus entsteht ein Song wie ,Night Cab'. Bewegung jeglicher Art inspiriert mich - vermutlich weil ich Angst vor Stillstand habe."

Das ist womöglich der Grund, warum sie die familiäre Umgebung in Dänemark zurückließ, ins hektische London zog. "Auch nach sechs Jahren lebe ich dort wie eine Fremde", sagt sie. "In meinem ersten, recht runtergekommenen Appartment habe ich mich oft sehr einsam gefühlt und am Fenster gesessen. Viele Songs sind so entstanden - ,The City' oder ,Room With A View' auf meinem dritten Album zum Beispiel."

Heimweh, Einsamkeit, Frustration, sich von aller Welt da draußen missverstanden fühlen, unglücklich verliebt sein und dazu am besten noch tristes Novemberwetter: Noch immer also die besten Arbeitsumstände für eine Songschreiberin: "Würde ich noch immer in Dänemark in meinem eigenen Haus mit Mann, Kindern und Hund leben, klängen meine Songs anders. Ganz sicher." Was auch immer passiere: Solange sie sich in London wie eine Fremde fühle, werde sie ihre Wohnung dort behalten. "Ich brauche das. Ich muss mich immer ein bisschen verloren in dieser großen weiten Welt fühlen. Dänemark ist mir dafür einfach zu klein."

Die glückliche Familie also als Schreibblockade, ein Gefühl von Heimat als Jobkiller? Die dänische Songschreiberin wehrt sich dagegen: "Mit der Zeit ist es für mich leichter geworden, Songs überall und unter allen Umständen zu finden." Poetische Momente in Alltagssituationen erkennen, diese in einen Song transformieren - reine Routine. "Auch wenn's so unromantisch klingt", sagt Tina Dico. "Mir muss es heute nicht mehr schlecht gehen, um einen guten Song zu schreiben. Vermutlich würde mir sogar ein verzweifelt klingender Text mitten beim gemütlichen Weihnachtsessen im Kreise meiner Familie zu Hause in Dänemark in den Sinn kommen. Schon merkwürdig."

Tina Dico live: 20. April Köln, Prime Club. 26. April Bochum, Zeche.