Die Himmelsscheibe von Nebra gab der Wissenschaft viele Rätsel auf. Jetzt wird sie öffentlich ausgestellt.Bochumer Astronom bestätigt die Echtheit der über 4000 Jahre alten Bronzescheibe

Im Februar 2002 beschlagnahmte die schweizerische Polizei in einem Baseler Hotel einen Bronzeschatz, den Raubgräber im Sommer 1999 nahe der Stadt Nebra in Sachsen-Anhalt illegal ausgehoben hatten. Zu der Hehlerware gehörte auch ein Bronzeteller, etwa 30 cm groß, in den Sonne, Mond und Sterne aus Goldblech eingelegt sind.

Dieser Teller, der zwischen 2100 und 1700 vor Christus gefertigt wurde, ist inzwischen unter dem Namen "Himmelsscheibe von Nebra" weltberühmt geworden: er belegt das Interesse des vorzeitlichen Menschen am gestirnten Himmel, wie es weltweit aus so früher Zeit kein vergleichbarer Fund tut, und ist damit ein Schlüsselfund für die europäische Astronomiegeschichte.

Allerdings nur, wenn a) die Scheibe echt ist und b) sie wirklich den Himmel abbilden soll - sie könnte ja auch ein außergewöhnliches Schmuckstück sein. Experten gehen jedoch davon aus, dass beides der Fall ist. Alfred Reichenberger vom Landesamt für Archäologie Sachsen-Anhalt: "Neben vielen Indizien spricht vor allem die Oberfläche der Scheibe für die Echtheit: Sie ist in dieser Form nicht fälschbar und entsteht nur durch lange Lagerung im Boden."

Die Frage, ob sie wirklich den Himmel abbildet, ist schwieriger zu beantworten. Denn betrachtet man die Goldplättchen, die ganz offenbar Sterne darstellen sollen, so fällt auf, dass sie bis auf die kleine, erkennbare Siebener-Gruppe unnatürlich regelmäßig und distanziert wirken.

In den letzten fünf Jahren hat der Bochumer Astronom Prof. Wolfhard Schlosser die Scheibe detailliert untersucht, und er ist sich sicher: "Die Scheibe ist kein Schmuckstück gewesen." Zwar ergibt seine Analyse, dass "die Sterne großteils mit der Absicht angebracht worden sind, die Scheibe schmückend und daher möglichst gleichmäßig zu füllen", aber viele Dinge an der Himmelsscheibe, die Schlosser entdeckt hat, können kein Zufall sein.

Die goldenen Randbögen spannen über Kreuz einen Winkel von etwa 83 Grad auf. Astronom Schlosser kennt diese Zahl: "So groß ist der Winkel zwischen dem nördlichsten und südlichsten Aufgangspunkt der Sonne für die frühe Bronzezeit in den Breitengraden Sachsen-Anhalts."

"Auf der Scheibe erkennen wir eine Gruppe von sieben nah beieinander liegenden Goldpunkten", sagt Wolfhard Schlosser, "das sollen wahrscheinlich die Plejaden sein, der Sternhaufen M45 am Rande der Milchstraße, den man mit bloßem Auge sehen kann." Dass die frühen Menschen ausgerechnet die Plejaden abbildeten, und nicht etwa den Großen Wagen, ergibt Sinn, da die Plejaden in Europa als bäuerlicher Kalender benutzt werden können: Der Tag, an dem sie nach Sonnenuntergang gerade noch zu sehen sind, der 10. März, eignet sich für den Beginn der Aussaat. Und wenn sie erstmalig in der Morgendämmerung im Westen untergehen, am 17. Oktober, ist es Zeit für die Ernte.

Für den durch Linien unterteilten, fast halbkreisförmigen Goldbogen gibt es mehrere Deutungsmöglichkeiten: Archäologen interpretieren ihn als Schiff, das die Sonne über Nacht vom West- zum Osthorizont fährt - dafür sprechen zahlreiche ähnliche Darstellungen einer solchen Sonnenbarke in anderen Kulturen. "Astronomisch gedeutet, könnte er auch für einen bestimmten hellen, bogenförmigen Teil der Milchstraße stehen", meint Prof. Wolfhard Schlosser, "und Amateure schlagen auch einen Regenbogen als Deutung vor."

Just die beiden einfachsten Objekte, Sonne und Mondsichel, können nicht ohne Weiteres erklärt werden: "Die Sonne könnte auch einen Vollmond und die Mondsichel eine partielle Finsternisphase von Sonne oder Mond verbildlichen", meint der Bochumer Astronom. "Es sind aber zweifelsohne astronomische Darstellungen."

Nach der intensiven wissenschaftlichen Untersuchung und Restauration kann die Himmelsscheibe von Nebra, die also tatsächlich echt und ein astronomisch höchst bedeutender Fund ist - der Versicherungswert liegt im zweistelligen Millionen-Bereich - , ab dem 23. Mai im Landesmuseum für Archäologie Sachsen-Anhalt in Halle/Saale in einer Dauerausstellung bewundert werden.