Martin Suter legt mit "Der letzte Weynfeldt" einen seiner schönsten Romane vor.Eine Geschichte aus leiser Dekadenz, melancholischem Wohlstand und fast unglaublicher Liebe
Zu den Lebensmaximen des Adrian Weynfeldt zählt der Glaube "an die Regelmäßigkeit als lebensverlängernde Maßnahme".
Wer könnte verhindern, dass der Mann in derart kontrollierter Langeweile 107 Jahre alt wird und als Folge dieser Regelmäßigkeit eines schönen Tages steinalt und steinreich von der Bildfläche (er ist Kunsthändler) verschwindet? Eine Frau selbstredend, soviel Romancier-Routine billigen wir selbst jemandem zu, der uns immer wieder mit so außergewöhnlichen Plots überrascht wie der Schweizer Martin Suter.
Adrian Weynfeldt hat keine Familie. Aber Freunde, freilich insofern der Blutsverwandtschaft ähnlich, als sie allesamt nicht einfach sind und dazu sehr alt (er übernahm sie höflichkeitshalber von seinen Eltern) oder aber viel jünger: "Sie behandelten ihn mit betonter Nonchalance als einen der ihren und sonnten sich doch heimlich im Glanz seines alten Namens und Geldes."
In diesem Weynfeldtschen Leben spielt Einsamkeit nicht die geringste Rolle. Es ist so angenehm sicher und ungefährlich mit seinem Erstellen neuer Auktionskataloge mit Hilfe der pralinenfressenden Assistentin Véronique. So sicher mit dem wöchentlichen Samstagsessen bei Berner Platte ("Speck, Zunge, Saucisson, Geräuchertem") mit den alten und jenen als Geselligkeit getarnten Sponsoring-Begegnungen mit den jüngeren Freunden. Aber dann steht diese Frau (nicht mehr als eine hilflose Mitnahme nach einem nächtlichen Barbesuch - die berühmte Weynfeldtsche Höflichkeit!) morgens auf seinem Balkon. Und will springen.
Martin Suter erzählt in seinem neuen Roman die Geschichte einer Liebe, der man nicht die geringste Chance einräumt. Er: so kultiviert, so leise, so vorsichtig, so wohlerzogen, mit den ausgewählten Designermöbeln der 40er bis 60er Jahre, der anerzogenen Demut, die den Millionär nur noch snobistischer erscheinen lässt und der Angewohnheit nur so viel zu essen wie Männer, denen ihre Figur nicht egal ist. Sie: ein mondäner Parvenü, nicht ohne Hang zum Kleinkriminellen, mäßig gebildet und im Vergleich zu dem schönen, dicken Frauenhintern in Felix Vallottons Bild "Femme nue devant une salamandre" ein paar Pfunde zu mager. Vallotton? Es ist ein einziges Bild dieses Malers, das in Suters Gauner-Tragikomödie alte Freundschaften, altes Geld und selbst die alte Zugehfrau der Weynfeldts auf eine harte Probe stellen soll.
Doch so sehr die Geschichte in ihrer seidigen Rififi-Artigkeit und den fesselnden, schier unerschöpflichen Wendungen uns bannt - die Meisterschaft in Suters neuem Roman ist dieser beharrlich unaufgeregte, stilistisch so souverän vorsichtige Ton, der eine melancholische Variation über den Wohlstand besingt. Ein Ton, der Dekadenz nicht den Heuschrecken, sondern in ganz zarter Ironie den Feinsinnigen überlässt - und uns zurücklässt mit einer Liebe für die großen und kleinen Figuren in Suters Planspiel um viel Geld und ein Gefühl, das die Liebe zur Kunst am Ende wieder zur Liebe zum Leben werden lässt.
Suter, kein Zweifel, hat eines der Bücher des Jahres geschrieben. Keine Zeit, es zu lesen? Dann lauschen Sie! Gert Heidenreich hat "Der letzte Weynfeldt" fürs Hörbuch eingesprochen - in seiner sanft-präzisen Diktion ist er der ideale Partner für den diskretesten Kunst-Skandal, den die Literatur seit langem erlebt hat.
Martin Suter: Der letzte Weynfeldt. Diogenes, 315 Seiten, 19,90 E. Das Hörbuch (ungekürzt!) erscheint am 1. Februar im gleichen Verlag: 7 CD, ca. 32 E