Im Gespräch mit der WAZ äußerte sich Schulministerin Barbara Sommer zum Zentralabitur und zum Ganztagsbetrieb.
Das Zentralabitur 2008 läuft bisher ohne große Probleme. Einzige Ausnahme: Die Mathematik-Klausuren. Schüler, Lehrer und Eltern klagen darüber, dass die Aufgabenstellung nicht in der verfügbaren Zeit zu schaffen ist. Stimmt das?
Sommer: Es geht lediglich um eine von acht Aufgaben für den Leistungskurs. Auch sie ist im Vorfeld sorgfältig erprobt worden – so etwas wird ja nicht erdacht, um junge Leute zu quälen. Jeder Mathe-Lehrer musste am Vortag der Klausur aus acht Aufgaben drei für seine Klasse auswählen. Als Lehrerin würde ich keine Aufgabe auswählen, auf die ich die Schülerinnen und Schüler nicht vorbereitet habe.
Trotzdem kommt die Kritik von vielen Schulen. Wie wollen sie darauf reagieren?
Sommer: Wir müssen für die Zukunft sicherstellen, dass auch die Lösungsraster den Lehrern frühzeitig mit den Aufgaben übermittelt werden. Die sind wohl an einzelnen Schulen bei der Schulleitung geblieben.
Sollte sich herausstellen, dass die Aufgabe so nicht lösbar war, hätte das schlimme Folgen für die Abiturienten.
Sommer: Ganz klar ist eins: Kein Schüler, keine Schülerin darf darunter leiden, wenn etwas schief gelaufen ist. Außerdem ist selbst dann noch eine Eins minus drin, wenn die zwei schwierigen der fünf Teile der Aufgabe nicht gelöst wurden. Wichtig ist: Hat der Schüler den Ansatz richtig skizziert? Das wird ja auch gewertet.
Selbst sehr gute Schüler haben mit dem Oktaeder gekämpft. Schwächere sind daran schlicht verzweifelt. Was haben sie zu erwarten?
Sommer: Im Zweifel müssen wir immer vom Schüler her denken.
Was heißt das konkret?
Sommer: Man muss jeweils gucken: Woran hat es gelegen? Hat die Schule die Jugendlichen auf eine solche Aufgabe gar nicht vorbereitet? Warum haben die Lehrer diese Aufgabe ausgewählt? Man muss aber auch schauen: Ist das ein sehr guter Schüler, der bei dieser Aufgabe um zwei Noten abgesackt ist? Da wird eine Einzelfallentscheidung zu treffen sein.
Was ist mit den schwächeren Schülern?
Sommer: Auch da muss man im Einzelfall gucken: Woran liegt es? Man kann nicht pauschal sagen: Statt acht tatsächlich erreichten Punkten werden jetzt 14 gewertet.
Was würden Sie unsicheren Eltern raten?
Sommer: Sie sollten das Gespräch mit dem Lehrer und mit der Schule suchen. Sollten sie da nicht weiterkommen, ist die Schulaufsicht ihr Ansprechpartner.
Sie empfehlen Eltern also konkret einen Noteneinspruch?
Sommer: In begründeten Fällen ja. Die Eltern sollten sich aber als erstes an die wenden, die diese Aufgabe ausgewählt haben. Eine Korrektur der Note ist dann erforderlich, wenn ersichtlich ist: Das passt nicht zusammen.
Eine generelle Lösung ist nicht denkbar? Etwa eine Änderung der Bewertungsmaßstäbe?
Sommer: Wir sollten erst einmal abwarten, wie die Zensuren tatsächlich aussehen. Ende Mai wissen wir mehr dazu. Die Lehrer sind mitten in der Korrekturphase.
Debatte um Kopfnoten
Die Kopfnoten sind ein weiterer Dauerbrenner in der Bildungsdebatte. Die FDP will maximal zwei halten, aus ihrer eigenen Fraktion kommt derselbe Vorschlag. Sie selbst wollen die sechs Noten überprüfen. Wie lange wollen Sie noch darüber nachdenken?
Sommer: Wir wollen nun dieses Versetzungszeugnis abwarten, dann werden die bisherigen Erfahrungen ausgewertet. Das geht schon im Herbst los.
Ende Mai findet bereits eine Anhörung dazu statt. Warum dauert es dann noch so lange?
Sommer: Eine Anhörung ist keine Evaluation. Wenn wir ganz schnell sind, dann könnten – wenn es denn erforderlich sein sollte - im Versetzungszeugnis 2009/2010 schon neue Kopfnoten stehen.
Eine Reduzierung halten Sie also auch für sinnvoll?
Sommer: Es gab den Wunsch von vielen, sechs Noten einzuführen. Ich glaube aber, es ist zumindest überdenkenswert, die Zahl zu reduzieren. Es muss aber eine Bandbreite geben, die aussagefähig ist.
Wie viele braucht man aus Ihrer Sicht?
Sommer: Das wird man sehen. Das steht am Ende der Evaluation.
Damit gäbe es zwei Schülerjahrgänge mit sechs Kopfnoten im Abschlusszeugnis – die auch Sie und ihre Koalition schon heute nicht mehr wollen. Muss das sein?
Sommer: Man darf doch nicht davon ausgehen, dass das den Schülern schadet.
Debatte um den Ganztagsbetrieb
Den Schülern und Eltern helfen soll der Ganztagsbetrieb an Gymnasien und Realschulen, die die Landesregierung gerade beschlossen hat; Je 54 in diesem und im nächsten Jahr, je zwei pro Kommune oder Kreis. Gibt das nicht vor Ort ein Gebalge darum, welche Schule Ganztagsschule wird?
Sommer: Bei den kreisfreien Städten halten wir uns aus der Thematik heraus. Bei den Kreisen muss man darauf achten, dass sich die Ganztagsschulen nicht an einer Stelle knubbeln.
Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Schule den Zuschlag erhält?
Sommer: Wichtigstes Kriterium ist sicherlich: Wieviel Bedarf hat eine Schule? Eine, an der es schon bisher viele 13-Plus-Mittagsgruppen gibt, ist sicherlich prädestiniert für den Ganztagsausbau. Man muss aber auch schauen, wo es viele benachteiligte Kinder gibt, die mehr Betreuungszeit brauchen, um sich wirklich gut zu entwickeln. Uns liegt enorm viel daran, aus jedem Kind das Beste herauszuholen, seine Stärken zu stärken.
Kinder-Armut wächst auch in NRW: Im Jahr 2016 wird es rund 333 000 Schüler weniger geben. Die Hauptschulen verlieren 74 000, die Gymnasien fast 73 000. Wie gehen Sie mit dieser Erosion der Bildungslandschaft um?
Sommer: In den neuen Bundesländern ist es ja viel schlimmer, dort wird bereits jede zweite Schule geschlossen. Vor kurzem haben wir das Thema demographischer Wandel in einer Kabinettsklausur diskutiert. Wir werden darauf achten, dass die Kinder so gut wie möglich qualifiziert werden.
Die FDP in NRW will den Kommunen die Gründung Regionaler Mittelschulen freistellen. Wie stehen Sie dazu?
Sommer: Wir führen jetzt keine Debatte über die Schulstruktur. Und wie es nach der Landtagswahl 2010 weitergeht, entscheidet sich, wenn die Koalition steht. Natürlich gucken wir aber: Was brauchen die Kommunen? Das Schulgesetz lässt schon heute variable Lösungen zu. Dass eine Hauptschule einen Realschulzweig andockt oder dass sich eine Realschule mit einer Hauptschule zusammentut. Auch eine Gesamtschule kann sich mit einer Hauptschule zusammenschließen. Wir führen mit den Kommunen viele Gespräche darüber. Und ich denke, da wird vieles ganz natürlich wachsen.
Die Gymnasien gehören zu den größten Verlierern. 73 000 Schüler weniger bis 2016 bedeuten: Rund 80 vierzügige Gymnasien fallen weg. Wollen Sie die Gymnasien stärken, indem Sie den Gesamtschulen die Oberstufe nehmen?
Sommer: Nein, daran ist nicht gedacht.
Die CDU hat einmal das Petersberger Modell entwickelt: Eine Sekundarschule ohne Oberstufe neben dem Gymnasium, Gesamtschule inclusive. Ist das noch oder wieder ein Thema?
Sommer: Das ist heute kein Thema. Wir gehen mit jedem Schritt weiter. Danach denkt man dann neu. Mein größtes Anliegen heute ist, dass guter Unterricht stattfinden muss. Ohne Ausfälle, durch gute Lehrerinnen und Lehrer.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Was täte den Schulen im Land richtig gut?
Sommer: Mein Herzenswunsch wäre: überall richtig kleine Klassen, 25 bis 26 Schülerinnen und Schüler maximal - das wäre richtig schön. Aber so weit sind wir davon ja nicht mehr entfernt: In der Grundschule etwa liegt der Schnitt bei nur noch 23,4 Schülern pro Klasse. Ich selbst saß noch mit 47 Kindern in der fünften Klasse – mancher Lehrer hat uns gar nicht richtig gekannt... Auch müsste man verstärkt über andere Lehrerschlüssel nachdenken: Dass Lehrer nicht nur pro Kopf auf die Schulen verteilt werden, sondern dass man auch nach der Herkunft schaut: Welche Kinder sind da? Welche brauchen besonders intensive Unterstützung?
Lehrer und die Fortbildung
Gute Schulen sind nicht denkbar ohne gute Lehrer. Das Lehramsstudium wird demnächst reformiert. Was tun Sie aber dafür, die Lehrer von heute fortzubilden?
Sommer: Natürlich können wir nicht warten, bis die ersten neuen Lehrer fertig sind. Fortbildung ist auch heute schon Pflicht für jeden Lehrer. Die Schulen haben ein Fortbildungsbudget, sie können im Rahmen ihrer Profilbildung selbst entscheiden, was sie mit dem Geld anfangen. Von oben herab zu diktieren, welche Fortbildung richtig ist – das ist nicht mehr zeitgemäß.
30 Euro pro Lehrer pro Jahr stehen dafür zur Verfügung. Wird dieser Etat erhöht?
Sommer: Es sind mittlerweile 45 Euro pro Lehrer. Dazu gibt es rund 600 Stellen für Lehrer, die sich allein um die Fortbildung der Kollegen kümmern. Alles aufsummiert ergeben sich 400 Euro jährlich pro Lehrerstelle. Die Schule kann ihren Etat aus einem Jahr auch auf das nächste übertragen. Und es gibt sogar einige Schulen, die rufen diese Gelder gar nicht ab.
Das könnte ein Fall für den Schul-TÜV sein. Oder wird darauf nicht geachtet?
Sommer: Schul-TÜV ist der falsche Begriff – es geht doch hier nicht um Autos. Die Qualitäts-Analyse der Schulen läuft seit gut zwei Jahren systematisch, 520 wurden bisher auf Herz und Nieren überprüft. Wo Schwachstellen entdeckt wurden, wird jetzt nachgebessert. Dafür zuständig ist die Schulaufsicht; sie muss klären: Muss etwas umstrukturiert werden? Das funktioniert wie eine Unternehmensberatung – und es funktioniert gut.
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