Washington. Edward Kennedy, der „kleine Bruder” von John F. Kennedy, starb im Alter von 77 Jahren an den Folgen eines Hirntumors. Ein Nachruf.

Dass Zeit ein kostbares Gut ist, hat Ted Kennedy wie kaum ein anderer gewusst. Und die Erkenntnis, dass man nie ans Ziel kommen wird, hat sich dieser aufrechte Idealist ohne Illusionen ebenfalls zu eigen gemacht. Die Reise an die „Küsten von Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen haben nie ein Ende. Es gibt immer nur den Aufbruch zur nächsten großen Fahrt”, sagte der letzte der Kennedy-Brüder bei einer hohen Ehrung der Harvard-Universität im letzten Dezember, die sein Lebenswerk würdigte. 77-jährig ist Edward Kennedy, der Letzte der „königlichen Generation”, die Amerika über eine vergleichsweise kurze, aber prägnante Zeitspanne ihren Stempel aufdrückte, an den Folgen eines bösartigen Gehirntumors gestorben.

In den Augen vieler Beobachter war Ted Kennedy der talentierteste der Kennedy-Brüder. Der Hartnäckigste war Teddy auf jeden Fall. Fast ein halbes Jahrhundert saß Edward Kennedy im US-Senat auf dem Washingtoner Kapitolshügel. Sieben Mal wählten Massachusetts Wähler den „liberalen Löwen”, Teds Ehrentitel, wieder, seit er 1962 den Senatorensessel seines Bruders John Fitzgerald übernahm, der ins Weiße Haus aufgestiegen war. Den Traum, nach John und Bobby, den ermordeten Brüdern, ebenfalls für das Präsidentenamt zu kandidieren, musste er begraben. Bei einem Autounfall in betrunkenem Zustand starb seine junge Begleiterin und mutmaßliche Geliebte.

Der Traum wird niemals sterben

Wegen Fahrerflucht wurde Edward Kennedy später zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Beim – ohnehin eher halbherzigen – Versuch, die Nominierung der demokratischen Partei Jahre später zu erringen, unterlag er dem Parteirivalen und späteren Präsidenten Jimmy Carter. „Die Hoffnung lebt. Der Traum wird niemals sterben”, sagte der jüngste der Kennedy-Brüder voller Pathos, als er seinen Rückzug aus dem Rennen verkündete. Doch die große Zeit der Kennedys, die Patriarch Joseph mit harter Hand auf die vorgezeichnete Laufbahn in Amerikas höchsten Sphären lenkte, schien vorbei. „Gewinnen, nicht Zweiter oder Dritter werden, das zählt nicht, sondern gewinnen, gewinnen, gewinnen” – das war das Leitmotiv des Vaters Joseph, das dieser den Kindern einimpfte .

Andere, aus weniger sperrigem Holz, wären an dieser Erwartungshaltung, die Ted nicht erfüllen konnte, gewiss zerbrochen. Überwunden hat er dieses Trauma freilich nie. Sein Kampfplatz blieb fortan der Senat, der Ort, „wo die Musik spielt”, wie er sagte.

In Respekt vor diesem Urgestein

Und sein Einfluss auf Amerikas Sozialgesetzgebung war immens. Dutzende von Gesetzen, die Amerikas Minderheiten, den Armen und Entrechteten das Leben ein kleines Stück erleichterten, tragen seinen Stempel. Selbst Kennedys schärfste politische Gegner verneigten sich gestern in Respekt vor diesem Urgestein, das die Krönung seines Lebenswerks so gern noch erlebt hätte. Eine Gesundheitsreform für alle – das war über Jahrzehnte das große Ziel dieses letzten großen Kennedys. Und um nichts in der Welt hätte er sich davon abhalten lassen, Barack Obamas großem Reformprojekt mit seiner Stimme zum Durchbruch zu verhelfen.

Doch im Senat war er zuletzt nur noch ein seltener Gast. Die bösartige Krankheit hinderte ihn daran, in der laufenden, polemisch-hitzigen Debatte über die Gesundheitsreform, die zunehmend zerfastert, noch einmal seine Donnerstimme zu erheben. Zu schwach war er schon, um bei der Beerdigung seiner Schwester Eunice, die Mitte August starb, die Grabrede zu halten.

Der Ritterschlag vor den Augen der Nation

Obama wird ausgerechnet Teds Stimme bei der Abstimmung über die Gesundheitsreform fehlen. Das hat schon bitter-ironische Qualität. Auch der Präsident trauerte gestern um diese Ikone der liberalen Demokraten, der er selbst so viel zu verdanken hat. Im Januar 2008, als das Nominierungsrennen zwischen Obama und Hillary Clinton längst noch nicht entschieden war, schlug sich Ted Kennedy mit bewegenden Worten und zur Überraschung vieler auf Obamas Seite. „Da ist ein neuer Kennedy mit herausragenden Gaben”, sagte Ted Kennedy mit Blick auf den jungen schwarzen Kandidaten. Ein entscheidender Moment für Obamas Weg ins Weiße Haus. Später, auf dem Wahlparteitag der Demokraten in Denver, erteilte Kennedy Obama den Ritterschlag vor den Augen der Nation und den gerührten Delegierten in der Kongresshalle. „Der Traum lebt weiter”, sagte Ted Kennedy. Der Stabwechsel war vollzogen.