Berlin. Als Franz Müntefering am Dienstagmorgen bei Wolfgang Clement anrief, befand sich dieser bereits im selbstgewählten Status des „Sozialdemokraten ohne Parteibuch”. Als solcher will er sich, wie er ankündigte, nach Kräften an Diskussionen über Gründe für seinen Austritt beteiligen.
Clement nannte erstens „die Entscheidung der Bundesschiedskommission, die meint, die Wahrnehmung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit mit einer öffentlichen Rüge drangsalieren zu sollen”. Zweitens beklagte er, dass die SPD keinen klaren Trennungsstrich zur Linkspartei ziehe und in der Ländern sogar zur Zusammenarbeit ermuntere. Drittens warf er der Partei vor, sie lasse eine industriefeindliche Wirtschaftspolitik treiben.
Die Parteiführung versuchte, möglichst knapp und unaufgeregt auf Clements überraschende Entscheidung zu reagieren, aber sie hat schlechte Erfahrungen mit einem anderen ehemaligen Superminister gemacht, der die SPD verlassen hat. Oskar Lafontaine verschaffte sich vor gut drei Jahren gleich ein neues Parteibuch und ist heute mittelbar eine der Ursachen für Clements Austritt.
Zwar rechnet niemand damit, dass Clement geradewegs eine Partei rechts von den Sozialdemokraten gründen will, aber er führt die Zerrissenheit der SPD schlagzeilenträchtig vor Augen.
Ironischerweise eint Clement Rechte wie Linke in ihrer Enttäuschung, allerdings nur für den Tag, und er lenkt den Blick einmal mehr nach Hessen. Dort hat das Drama um Clements Ausschluss oder Verbleib in der SPD seinen Anfang genommen, als der 68-Jährige im Wahlkampf im Januar indirekt davor warnte, Andrea Ypsilanti zu wählen.
Heute werden in Hessen Ausschlussverfahren vorbereitet, weil vier Abgeordnete verhindert haben, dass Ypsilanti mit Stimmen der Linkspartei Ministerpräsidentin werden konnte. Gerade erst hat der Bezirk Hessen-Süd Carmen Everts und Jürgen Walter deren Mitgliedsrechte zurückgegeben, die er ihnen drastischerweise wegen ihrer Ablehnung der rot-roten Kooperation entzogen hatte.
Dieses Drama um rechten und linken Flügel sowie eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei geht sowieso weiter, und die SPD muss damit rechnen, dass Clement es vor den hessischen Neuwahlen im Januar mit einigen Kommentaren weiter befeuert. Dann ist bereits das Jahr der Bundestagswahl angebrochen, und die SPD wird noch immer nicht zur Ruhe gekommen sein.
Momentan wirkt die SPD, als habe der Neustart mit dem neuen alten Vorsitzenden Müntefering und dem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier vor einem guten Monat sich gar nicht ereignet. Die Union, die immer noch überlegt, ob sie die SPD mit einer Art Neuauflage der Roten-Socken-Kampagne weiter schwächen kann, schlachtet den Fall Clement in bester Metzgermanier aus: „Das ist ein Anzeichen, dass vernünftige bürgerliche Sozialdemokraten und wirtschaftliche Vernunft in der SPD keine Heimat mehr haben”, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder.