Bochum/Witten. Das Abschlusskonzert ihrer Open-Air-Tournee gaben Selig in einem Zelt. Dort entlud sich, was sich über die Jahre der Bühnenabstinenz aufgestaut hatte - in einem grandiosen Konzert.

Bochum. Rastlos war der Sommer, und zu seinem Ende hin stauen sich die noch unverarbeiteten Emotionen in diesem düsteren, schwülen Zelt auf der Stadtgrenze zwischen Bochum und Witten. Selig hatten sich lange abgemeldet, und nun fabuliert Frontmann Jan Plewka immer wieder über „dieses letzte Konzert des Sommers”, darüber „was wir all die Jahre verpasst haben”, als könne er die Energie der Wiederbegegnungen nicht ganz verarbeiten. Man glaubt es ihm – auch wenn Selig drei Wochen nach dem Zeltfestival Ruhr schon wieder die Clubs bespielen.

Die E-Gitarre des Christian Neander gewittert – und Blitze zucken zwischen Band und Publikum. Man hat aufeinander gewartet, selten sieht man so viele Konzertgänger selig grinsen. Diese ganz spezielle Bindung liegt in dem Lebensgefühl begründet, das diese Band (als einzige in Deutschland) immer transportiert hat. Also in den deutschen Sturm-und-Drang-Texten, die man lieben oder hassen muss.

Ein moderner Beatnik

Am besten versteht man Plewka als Beatnik. Als einen, der sich inspirieren lässt von Kerouac und seinem „Unterwegs”-Gefühl, vom Existentialismus eines Camus, vom Mystizismus der Doors. Seine Dichtung borgt sich von all diesen Einflüssen, die einen am stärksten in der Lebensphase zwischen 16 und 25 erwischen. Aber Plewka transponiert das Überholte in die deutsche Gegenwart – und darum funktionieren seine alten Songs noch immer. Für die jüngeren mit dem Vorsatz eines überstürzten Trips nach Paris, für die Erfahreneren mit einem erinnernden Grinsen.

Am Montagabend spielen Selig fast das gesamte erste und maßgebende Album, die besten Lieder des Nachfolgers und die treibendsten der Comeback-Scheibe. Statt „Zugabe” zu fordern, verfällt das Zelt nach fast zwei Stunden selbst aufs bedeutsame Singen der aktuellen Single „Wir werden uns wiedersehen”. Das ganze Zelt singt!

Das dritte, poppigere Werk „Blender” wird ausgespart, wohl nicht nur aus musikalischen Gründen. Es entstand 1997 in der Auflösungsphase von Selig und ist wohl mit unschönen Erinnerungen belastet. Zwei Magneten gibt es in der Band, die sich bestenfalls anziehen, bei einer unbedachten Wendung aber immer noch abstoßen könnten: den Schwärmer Plewka und den ernsten Musiker Neander. Heute küsst der erste den zweiten; der Gitarrist errötet – und wirkt doch so richtig Selig.

Das Zeltfestival – eine Auswahl. Heute: Gayle Tufts. Morgen: Götz Alsmann, Hagen Rether. 2. Sept.: Milow, Patricia Kaas. 5. Sept.: Amy MacDonald. Info: www.zeltfestivalruhr.de.