Maille´. 25. August 1944: Im befreiten Paris tanzen die Menschen ausgelassen auf den Boulevards. Zur selben Stunde wird Maillé, ein Dörfchen nahe Tours, von der deutschen Soldateska ausradiert. Als die Mörder abziehen, sind 124 wehrlose Menschen tot.

Serge Martin, damals zehn, hat das Massaker überlebt, seine Familie ist ausgelöscht: Vater René (34), Mutter Renée (30), Bruder Raymond (9) und die kleinen Schwestern Josiane (4) und Danielle (sechs Monate). „Ich war an diesem Tag bei meinen Großeltern”, erzählt er beim Rundgang durch das Dorf, das sie „village martyr” nennen, das geschundene Dorf. Der 74-Jährige ist ein introvertierter Mensch, der meist mit gedämpfter Stimme spricht. Dass er überhaupt redet über die Ereignisse, ist ein kleines Wunder. „50 Jahre habe ich geschwiegen.”

Eigentlich gilt Maillé während der Besatzung als unauffälliger Ort, was sich nach der alliierten Invasion allerdings schlagartig ändert. Da wird die wichtige Bahnlinie Paris-Bordeaux, die sich an Maillé schmiegt, zur Hauptroute für den Rückzug. Und immer häufiger zum Anschlagsziel der Résistance.

Am Abend vor dem Massaker kommt es nahe dem Dorf zu einem Schusswechsel zwischen Widerstandskämpfern und Deutschen, ein SS-Mann wird tödlich verletzt - offenbar der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Es ist Vormittag, als der deutsche Stoßtrupp, 60 bis 100 Mann, über Maillé herfällt.

Serges Vater steht in der Schmiede. Obwohl er das Peitschen der Maschinengewehrsalven hört und die brennenden Nachbargehöfte sieht, tritt der Hufschmied einem Soldaten mit einem weißen Handtuch winkend entgegen. „Kamerad” ruft er, doch der Soldat streckt Martin mit einer Salve nieder. Dann fallen sie über seine Frau und die drei Kinder her, die sich im Haus verstecken.

Haus für Haus durchkämmen die Soldaten die 600-Seelen-Gemeinde und machen sich zu Herren über Leben und Tod. Wie Vieh treiben sie Bewohner durchs Dorf, schneiden ihnen die Kehlen durch, rammen Bajonette in ihre Rücken. Viele Opfer verbrennen bis zur Unkenntlichkeit, 52 der 60 Häuser sind Ruinen, sogar das Vieh auf der Weide knallen sie ab. Bei den Confolents töten sie die Mutter und sieben Kinder. Einige überleben, weil sie sich nach dem Gemetzel tot stellen. Und werden so Zeugen einer grotesken Kaltblütigkeit: Sie berichten später von Soldaten, die sich seelenruhig an die Küchentische setzen, um sich zu stärken. Am frühen Nachmittag zieht das Mordkommando ab, aber Maillé kommt dennoch nicht zur Ruhe. Denn nun vollendet ein 8,8-cm-Flakgeschütz die Vergeltungsaktion, 87 Granaten werden auf das lichterloh brennende Dorf abgefeuert.

„C'est la punission des terrorists et leurs assistents” - „Das ist die Bestrafung der Terroristen und ihrer Helfershelfer” steht – in fehlerhaftem Französisch – auf zwei Zetteln, die die Täter hinterlassen.

Zwar verurteilt ein Militärgericht in Bordeaux sieben Jahre später in Abwesenheit einen deutschen Leutnant als vermeintlichen Drahtzieher zum Tode, aber die vollständigen Hintergründe bleiben lange ungeklärt. Und ungesühnt.

Nicht minder schlimm für das traumatisierte Dorf: Es legt sich ein rätselhafter Schleier des Vergessens über Maillé, das stets im Schatten von Oradour-sur-Glane, dem schlimmsten deutschen Massaker in Frankreich steht. „Warum ist es passiert? Wer waren die Täter? Wir wollen endlich Gewissheit”, sagt der 74-Jährige, der Präsident der Vereinigung „Pour le Souvenir de Maillé” ist.

Die Namen der

Beteiligten stehen fest

Ein sehnlicher Wunsch, der möglicherweise bald in Erfüllung geht. Denn der Dortmunder Oberstaatsanwalt Ulrich Maaß, der die Ermittlungen im Fall Maillé vor fünf Jahren wieder aufgenommen hat, ist weit vorangekommen. Es steht fest, dass es sich bei den gesuchten Mördern des Stoßtrupps um Soldaten des Feldersatz-Bataillons der 17. SS-Panzergrenadierdivision „Götz von Berlichingen” handelt, während ihnen am Dorfrand eine Einheit des 196. oder 197. Sicherungs-Regiments der Wehrmacht den Rücken freihielt. „Die Namen der am Massaker beteiligten Soldaten stehen weit gehend fest”, sagt Nazi-Jäger Maaß.