Gelsenkirchen. Diese Schönheitsoperation ging gründlich daneben. Und weil ihr Arzt die Frau nicht über Risiken aufklärte, gilt der Eingriff als krimineller Angriff. Die Folge dieses Gerichtsurteils: Der Steuerzahler entschädigt das Opfer.
Mit Grauen denkt eine heute 54-Jährige an die Folgen ihrer Schönheitsoperation, mit der sie eigentlich nur ihrem dicken Bauch zu Leibe rücken wollte. Heute ist der Bauch zwar weniger dick, aber zwei große Narben laufen quer über den Ober- und Unterbauch, der Nabel musste korrigiert werden. Und das bei wochenlangem Krankenhausaufenthalt.
Dann folgten Monate der rechtlichen Aufarbeitung dieses Desasters, an deren Ende nun eine nicht nur für Ärzte durchaus wegweisende Entscheidung des Essener Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen steht: Wer vor einer (Schönheits-)Operation vom Arzt nicht richtig auf die Risiken hingewiesen wird und später unter schweren Folgen leiden muss, dem stehen wie allen anderen Opfern „normaler” Straftaten Zahlungen nach dem Opfer-Entschädigungs-Gesetz (OEG) zu. Der 10. Senat des Landessozialgerichts Essen hat mit dieser klaren Entscheidung das Land NRW in die finanzielle Pflicht genommen.
Die 54-jährige Frau litt vor der Operation und leidet weiterhin unter Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz und einem insulinpflichtigen Diabetes sowie einer Darmerkrankung. Trotz dieser Vorbelastungen hat sie der Gynäkologe nachweislich nicht auf die ihr drohenden Gefahren hingewiesen. Dokumentationen über die Aufklärung seitens des Arztes gibt es nicht. Ebenso wenig eine schriftliche Zustimmung zur OP, was sich im späteren Strafverfahren zeigen sollte.
Bereits beim ersten Eingriff, beim Fettabsaugen, kam es zu schweren Folgekomplikationen: Ein großer Bluterguss platzte im Bauchfettgewebe. Eine zweite Operation wurde bei ihrem Arzt nötig. Auch hierbei erlitt die Frau derart schwere Folgebeschwerden, dass sie danach mehrere Wochen in einem Universitätsklinikum bleiben und dort sogar ein drittes Mal operiert werden musste. Der Gynäkologe wurde wegen der beiden Eingriffe inzwischen rechtskräftig wegen „vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzungen” insgesamt zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt.
Das Land lehnte für die Frau Zahlungen nach dem Opfer-Entschädigungs-Gesetz ab, weil aus diesem Fonds ausschließlich Kriminalitätsopfer finanziell unterstützt würden. Der Staat schütze seine Bürger vor Kriminalität durch seine Polizei. Nur wenn dieser Polizeischutz im Einzelfall versage, dann greife das OEG, so die Argumentation des Landes.
Im vorliegenden Fall handele es sich um einen Kunstfehler des Gynäkologen, der sei nicht durch den polizeilichen Schutz gedeckt. Und dass der Arzt nicht richtig aufgeklärt habe, sei eine „reine Unterlassung”, die nicht vom OEG erfasst würde.
Falsch, so die Essener Richter. Die operativen Maßnahmen sind „tätliche Angriffe” im Sinne des OEG. Der Arzt habe – nach der Aktenlage – aus finanziellen Motiven die Aufklärung der Patientin unterlassen. Das alles widerspreche einer Heilbehandlung. Er habe zudem das in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht.
Wäre ihr nämlich das erhebliche Risiko auf Grund ihres Krankheitsbildes deutlich gemacht worden, hätte sie diesen Operationen nicht zugestimmt, urteilte das Gericht. „Aus selbstsüchtigen und monetären Motiven” habe sich dieser Arzt über das Interesse der Frau an körperlicher Unversehrtheit hinweg gesetzt.
Eine Lawinenwirkung durch dieses Urteil schloss das LSG aus: Hier sei es darum gegangen, dass „in Kenntnis einer – durch vorsätzlich unzureichende und falsche Aufklärung – erschlichenen Einwilligung operiert worden ist.”
(Az.: L 10 VG 06/07)