Essen. Daniel Kehlmann, der vielgelesene Autor, nennt sein neues Buch "Ruhm" einen Roman. Aber tatsächlich sind es neun Kurzgeschichten, die mehr oder weniger subtil miteinander verbunden sind. Es geht um E-Briefe und um Plauder-Räume.

Ich hasse Buchtitel mit Tiefsinn, vor allem, wenn sie sich erst am Ende erschließen und dann zur gründelnden Deutung des Textes aufplustern. Sonst hasse ich an Daniel Kehlmanns neuem Buch gar nichts, es ist nett und geht mich wenig an, auch da nicht, wo es besser ist.

„Ruhm” heißt der schmale Band, und er handelt vom Leben der Stars und von der Veränderung der Realität durch elektronische Medien. Das eine klingt hintergründig, das andere mindestens philosophisch; in Wirklichkeit ist beides einigermaßen schlicht. Der Bestsellerautor reflektiert seinen Erfolg und ein Stück der modernen Welt.

Seltsam behäbig erzählt

Kehlmann, 34, ist ein erstaunlicher Autor. Sein Roman „Die Vermessung der Welt” gehört seit vier Jahren zu den meist verschenkten Büchern, und man darf annehmen, dass er ungewöhnlich häufig gelesen wird. Denn es ist ihm gelungen, eine eigenartig abseitige, versponnene Geschichte mit starken Wurzeln in der Wirklichkeit so bodenständig zu erzählen, dass er ein breites Publikum erreicht – und das mit Protagonisten, die Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß heißen.

Diesmal erzählt Kehlmann, irritierend behäbig, von einer rasanten, unheimlichen Welt; von Mobiltelefonen, E-mails und Chatrooms. Bei ihm erlauben sie eine fast mystische Ausdehnung des Menschen, oder seine Reduktion auf eine Stimme, ein Schriftbild. Er erzählt auch ein paar andere Geschichten, das sind die besseren. Die meisten aber sind verliebt in den Gedanken, dass einer heraustreten kann aus seiner Person und eine neue Identität finden. Das ist ein altes Thema, letztlich findet man es schon beim Froschkönig; die Brüder Grimm, elektronisch. Und dass die Personen von Geschichte zu Geschichte springen, ist keine Innovation, eher ein lustvolles Spiel.

Neun Geschichten

Ein Mann bekommt auf dem Handy Anrufe, die einem Anderen gelten – einem Filmstar mit aufregendem Sexualleben. Er antwortet als der Andere und glaubt, plötzlich zu leben.

Oder: Ein Autor hält Vorträge über das Ende der Kultur. Dies sei das Zeitalter der Bilder, „des rhythmischen Lärms und des mystischen Dämmerns im ewigen Jetzt – ein religiöses Ideal, Wirklichkeit geworden durch die Macht der Technik.” Das schrappt schräg artifiziell an guter Satire. Und es gibt gute Sätze; über das gelangweilte Publikum: „Und dafür all die Arbeit, all der Kampf und die Sorge, das ganze versäumte Leben.”

Es gibt auch Ärgerliches. Ein Filmstar geht sich verloren: „Er hatte schon lange den Verdacht, dass das Fotografiert werden sein Gesicht abnützte”. Solche esoterischen Banalitäten sind längst in der halbseidenen Literatur unterwegs.

Oder Rosalie. „Von all meinen Figuren ist sie die klügste”, sagt der Autor. Warum? Weil sie weiß, dass sie ausgedacht ist und den Autor überredet, auf ihren Tod zu verzichten. Aber kann man das bestürzende Thema Sterbehilfe ausnutzen, um eine literarische Spitzfindigkeit zu platzieren?

Keine guten Geschichten, aber auch keine schlechten

Banal, wie eine Krimi-Autorin in der Steppe verloren geht; ihr Akku ist leer, aber in einem Laden steht ihr Bestseller. Glänzend dagegen die Geschichte über den Verfasser salbungsvoll verquaster Ratgeber; seine Bücher liegen in allen Geschichten herum. Er bekommt Post von einer Äbtissin: Er möge ihr Gott erklären. Da verfasst er eine wütende Kritik seines eigenen blasierten Geschreibes, schiebt sich eine Pistole in den Mund und die Geschichte ist zu Ende.

Am Ende reist ein inzwischen wohlbekannter Autor in ein afrikanisches Krisengebiet und ruft zum Entsetzen der humanitären Helfer: „Ich kann mich nicht erinnern, wann etwas je so wirklich war!” Der Autor wird als zweitklassiger Gott bezeichnet. Das versöhnt fast mit der mäßigen Originalität.

So ist das. Es sind keine guten Geschichten und keine schlechten, sie werden auf dem Nachttisch keinen Schaden anrichten. Experimentelle Lust kann man der Sprache nicht nachsagen und der Form auch nicht, trotz hin- und herhüpfender Protagonisten.

Schade. Von einem Dichter, der unter Genieverdacht steht, hätte man ein bisschen Innovation erwarten dürfen.

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