Dortmund. Am Dortmunder Schauspielhaus hat Sybille Fabian den „Ödipus” des Sophokles inszeniert. Ein faszinierendes Schauermärchen mit einem großartigen Ensemble.
Droben, auf dem Plateau, prangt sein Konterfei: Ödipus, Herrscher von Theben, strengen Blickes auf eine Halle mit mächtigen Säulen blickend. Prototyp des verbohrten Führers, dem ein Volk Untertan ist. Doch der wahre Ödipus, jener aus Fleisch und Blut, der unten im Saal brüllt und wimmert, ist zuerst Gefangener seiner selbst.
In Sophokles Drama wird dieser König bald erkennen, dass sich die Prophezeihung der Götter immer bewahrheitet. Ja, dieser Herrscher, dem seine Autorität nach und nach aus den Händen gleitet, hat, wenn auch unwissend, seinen Vater umgebracht, seine Mutter Iokaste geheiratet und mit ihr Kinder gezeugt. Und wenn sich die ungeheuerliche Wahrheit enthüllt, muss Ödipus seinen weißen Mantel fahren lassen, das so vertraute Symbol von Autorität.
Ödipus gleicht einem Roboter
So sehen wir es im Dortmunder Schauspiel, in der Inszenierung von Sybille Fabian und der Ausstattung Herbert Neubeckers. Die Regisseurin greift dabei in hohem Maße auf das Mittel der Stilisierung zurück. So sehr Ödipus in all den krampfenden Bewegungen oder der verzerrten Mimik noch etwas Natürliches anhaftet, so mechanisch, Robotern gleich, bewegt sich oft der fünfköpfige Chor. Zwar ist es nicht nur ein strenges Schreiten, doch selbst wildes Umherlaufen formt sich letztlich zum wohlgeordneten Standbild.
Derart also sind die Gegensätze: Hier der weißgewandete Mensch, selbstsicher zunächst, doch immer mehr schwankend, dort kaltblütige Figuren, der Wahrheit mit detektivischer Akribie auf der Spur. Aus dem Chor schälen sich die anderen Figuren heraus: Iokaste (Jacob Schneider), deren Bruder Kreon (Andreas Vögler), der Priester und ein Hirte (Patrick Jurowski), der blinde Seher Teiresias (Günther K. Harder), ein Bote (Bernhard Bauer).
Ein faszinierendes Ensemble, das in Gestik, Bewegung und Mimik das Untertanentum zelebriert, mit der Macht der pointierten Worte indes den Herrscher stürzt. Dieser, in Gestalt von Matthias Heße, geriert sich als Narziss, im Wasser seine vermeintliche Schönheit betrachtend. Das Wasser, es wird sich färben, wenn der König sich immer und immer von seiner blutigen Schuld reinwaschen will.
Archaische Inszenierung
Heße gibt alle Facetten seiner Figur in großer Virtuosität. Ihm ebenbürtig ist Jacob Schneider (Iokaste), im vulgären Rock, mit Latex-Handschuhen, die an Edward mit den Scherenhänden erinnern.
Der gestelzte Gang, ein flötender Tonfall, der sich zum leisen „Schrei“ in Koloratursopranhöhen emporschwingen kann, sind im Grunde nichts anderes als Symbole für eine durch und durch archaische Inszenierung, die am Ende nicht ohne Blut auskommt. Metal-Musik dröhnt bisweilen, doch sie ist keine Beigabe, sondern dramaturgisches Mittel. So präsentiert Sybille Fabian ein Schauermärchen, eine Parade der Untoten. Am Ende sinken die (Stoff)-Säulen hinab. Vorbei ist's mit der Antike – Ödipus steht da, geblendet mit bluttriefenden Augen. Seht her, ein Mensch!