Jetzt steht die von deutschen Einwanderern gegründete US-Bank Lehman Brothers vor dem Aus. Geldinstitute stellen Notfonds über 70 Milliarden Dollar auf. Chefvolkswirt sieht deutsche Banken aber nicht in Gefahr.
Essen. Der Finanzmarkt in den USA befindet sich erneut in einer dramatischen Lage. Die schwer angeschlagene 158 Jahre alte US-Investmentbank Lehman Brothers steht vor dem Aus. Die Verantwortlichen beantragten Gläubigerschutz. Mit Lehman Brothers steht innerhalb von sechs Monaten bereits die zweite der einstmals fünf unabhängigen US-Investmentbanken vor dem Scheitern. Im März schon war der kleinere Konkurrent Bear Stearns an den Finanzkonzern JP Morgan praktisch über Nacht verkauft worden. Damals kursierten bereits Gerüchte über drohende Insolvenz und hohe Wertverluste bei Lehman. Diese Befürchtungen bestätigten sich nun.
Staatshilfen von Seiten der US-Regierung hat Lehman nicht zu erwarten. Die Branche versucht sich nun auch selbst, nachhaltiger zu schützen. Zehn der weltgrößten Banken stellen einen Notfonds über 70 Milliarden Dollar auf, darunter die Deutsche Bank. Die Europäische Zentralbank pumpt zur Sicherung der Liquidität 30 Milliarden Euro in den Markt. Bis heute mussten die Banken weltweit schätzungsweise mehr als 500 Milliarden Dollar infolge der Finanzkrise abschreiben.
Für Lehman kam jede Rettung auch deshalb zu spät, weil sich die größte US-Geschäftsbank, die Bank of America, nicht zu einem Kauf der 1850 von deutschen Einwanderern gegründeten Investmentbank durchringen konnte. Stattdessen übernahm die Bank of America die US-Geschäftsbank Merrill Lynch. Als Kaufpreis wurden 50 Milliarden Dollar (34,7 Milliarden Euro) genannt. Die britische Barclays Bank hatte sich bereits am Sonntag aus einem Bieterverfahren für Lehman zurückgezogen.
Lehman Brothers will nun Insolvenzschutz anmelden. Gesunde Bereiche der Bank sollen schnellstmöglich verkauft werden. Die Bank hatte vergangenen Mittwoch einen Verlust von 3,9 Milliarden Dollar (2,8 Milliarden Euro) im dritten Quartal bekannt gegeben. Die Finanzkrise erwischte auch den einst weltgrößten Versicher AIG. Das in schwere Finanznöte geratene US-Unternehmen hat die US-Notenbank Fed um kurzfristige Finanzhilfen in Milliardenhöhe gebeten.
Der deutsche Aktienmarkt brach gestern ein. Der deutsche Aktienindex (Dax) stand zeitweise unter der psychologisch wichtigen Marke von 6000 Punkten. Die Finanzkrise in den Vereinigten Staaten wird nach Ansicht von Stefan Schilbe, Chefvolkswirt der Privatbank HSBC Trinkaus & Burkhardt, negative Folgen auf die deutsche und die europäische Volkswirtschaft haben. „Über die Handelsverflechtungen werden wir Probleme bekommen, weil immer weniger deutsche und europäische Güter gekauft werden”, sagte Schilbe der WAZ. Außerdem kauften die Amerikaner weniger chinesische Güter, für die Investitionsgüter wiederum aus Deutschland geliefert würden.
Dass es in den USA jetzt eine Bank wie Lehman Brothers erwischt hat, ist für Schilbe nicht verwunderlich. „Diese Investmentbanken in den USA geraten unter Druck, weil sie kein originäres Geschäft haben und ohne hohe Einlagen arbeiten.”
Hoffnung auf Entspannung sieht er nicht. „Die Immobilienpreise werden weiter fallen, dadurch wird der Bedarf an Wertberichtigungen bei den Banken noch größer.” Eine ähnliche Entwicklung wie in den USA erkennt Schilbe in der deutschen Bankenlandschaft nicht. Konzentrationsprozesse hätten hier bereits stattgefunden. „In Deutschland geht es nicht darum, große Banken in der Krise zu retten”, sagte Schilbe.