Quantico.

Offiziersanwärter in Amerikas sagenumwobener Elitetruppe der „Marines“, leicht zu erkennen am dunkel-oliv grundierten Tarnfleck, haben auch bei 38 Grad und 85 Prozent Luftfeuchtigkeit nur eines: zu gehorchen.

Auf dem 260 Quadratkilometer großen Areal eine Autostunde südlich von Washington steht an diesem Morgen die „gute, alte Howitzer“ auf dem Stundenplan, wie Sergeant James Harvey sagt. Eine Haubitze, Kaliber 155 Millimeter, die noch in 40 Kilometern Entfernung ihre zerstörerische Kraft entfaltet. Dax McDaniel und die anderen Novizen seines Platoons stehen stumm daneben, als die erfahrenen „Gönner“ um Harvey das Geschütz bestücken und im Stakkato-Ton Befehle geben.

Noch ein schnelles Warnsignal per Hand. Dann zerreißt ein ohrenbetäubender Knall das Gezwitscher der Vögel. McDaniel verfolgt die Flugkurve des Geschosses und macht sich eilig Notizen. „In zwei Wochen muss ich selber den Zünder auslösen, ich freue mich darauf.“

Angst zu versagen, hat McDaniel nicht: „Keiner ist stolzer und besser. Keiner trainiert härter, um hundertprozentig bereit zu sein, wenn es darauf ankommt.“ In der kleinsten Streitmacht des US-Militärs (Sollstärke rund 182 000 Mann) haben schon die Jüngsten die sorgsam kultivierte Erzählung von der Einzigartigkeit der 1775 gegründeten „Infanterie der Flotte“ bis in die letzte Faser ihres meist blendend trainierten Körpers verinnerlicht.

Marines werden „gemacht“ –aus „Menschenmaterial“

Diesem Elite-Bewusstsein, das in Zeiten gesellschaftlich volatiler Überzeugungen, durch seine Unbeirrbarkeit beeindruckt, kann niemand entgehen, der als Zivilist in Quantico zum Besuch vorgelassen wird. Marines, so hört man quer durch alle Dienstränge, existieren nicht einfach so. Sie werden „gemacht“. Aus „Menschenmaterial“, das erst nach langem, entbehrungsreichem Training zu jenem kämpfenden Kollektiv wird, das auch in extremsten Situationen dem Anspruch gerecht wird, den Ausbildungschef Colonel Christian F. Wortmann mit leiser Stimme so beschreibt: „Wir bilden hier jedes Jahr 1800 von Amerikas feinsten Kämpfern aus. In der besten Armee, die die Welt je gesehen hat.“

Wie das funktioniert, trägt Züge eines Ordens oder Kultes. Sowohl die in Parris Island (South Carolina) und Camp Pendleton (Kalifornien) von dauerkrakeelenden Drill-Instruktoren gepiesackten Rekruten als auch die später als „Leader“ (Anführer) eingesetzten höheren Ränge in Quantico lassen bei Eintritt in das Corps Amerikas Ego-Gesellschaft für immer im Spind.

Sie werden umprogrammiert auf einen Wertekanon, in dem das Ich keinen Platz mehr findet. Dafür wimmelt es vor starken Worten mit Wir-Faktor. „Mut. Stärke. Zähigkeit. Integrität. Loyalität. Disziplin. Respekt. Stolz. Gemeinschaftsgeist. Pflichttreue. Opferbereitschaft.“

Für Lawanda Ruiz sind das die „entscheidenden Leitplanken“, seit sie vor sechs Jahren zu den „Marines“ gekommen ist. Die 27-Jährige aus einem kleinen Nest in Alabama gehört zu den wenigen Frauen, die sich den Strapazen des Übungsalltags unterziehen, in dem die Schmerzgrenzen bewusst immer wieder ein bisschen nach hinten geschoben werden.

Die Afro-Amerikanerin fühlt sich „vollkommen gleichberechtigt“

In der von Männern dominierten Welt fühlt sich die Afro-Amerikanerin „vollkommen gleichberechtigt“. Dass schwarze Gürtel in diversen Kampfsportarten die Akzeptanz beim anderen Geschlecht erhöhen, verschweigt sie nicht. Wie alle Marines ist Ruiz niemand, der kämpfen will. „Aber ich wüsste wie. Immer.“

Die Biografien in diesem eingeschworenen Klub, der nicht nur ge­genüber Dritten mit ausgesuchter „Yes, Sir“-„Yes, Ma‘am“-Höflichkeit am Ende eines jedes Satzes auftritt, weisen verblüffende Parallelen auf. Viele haben Väter, Brüder, Großväter und Onkel, die dem Motto „Ehre, Tapferkeit und Hingabe“ folgten und in Korea, Vietnam oder den Golfkriegen bei den Marines dienten.

Die meisten Kandidaten für die höhere Laufbahn haben die Highschool abgeschlossen oder schon mit einem Studium begonnen. Einige, wie Staff Sergeant Michael Tumlinson, kamen schon mit 17 zur Truppe. „Ich wollte mich beweisen. Damals mussten noch meine Eltern schriftlich einwilligen.“

Für Sergeant Jeffrey Bentley hat der 11. September 2001 den Ausschlag gegeben. „Ich musste nach den Terroranschlägen einfach meinem Land dienen“, sagt der Schwarze aus Brooklyn/New York. Wie er so sind viele Marines, die in Quantico stationiert sind, bereits mehrfach im Irak oder in Afghanistan eingesetzt gewesen. Hat das seinen Blick geändert und Zweifel am Sinn genährt? „Nein“, sagt Bentley, „wie man sieht, ist unsere Aufgabe noch nicht erledigt. Ich würde sofort wieder gehen, wenn man mich ruft.“ Jeffrey Bentley muss noch sieben Jahre ableisten, dann hat er die 20 voll und könnte im Alter von 47 in Pension gehen. Ein Grund zur Sorge? „Auf keinen Fall. Ich werde schnell eine neue Herausforderung finden.“

„Die Marines geben dir das Rüstzeug für ein erfolgreiches Leben“

Amerikanische Unternehmen, so schrieb gerade erst wieder das „Wall Street Journal“, schätzen den speziellen Schliff und den unbedingten Erfolgswillen, der den Marines eingetrichtert wird. „Führungsqualitäten in Uniform übersetzen sich im zivilen Leben oft in gefragte und gut bezahlte Managerposten.“ Eine Überzeugung, die auch schon bei Dax McDaniel gereift ist. „Die Marines geben dir das Rüstzeug für ein erfolgreiches Leben.“