Berlin. Woran ist die Befreiung der deutschen Piraten-Geiseln gescheitert? Während die Parteien über eine Verfassungsänderung streiten, kommen viele Abgeordnete und Experten zu einem ganz anderen Ergebnis: Es hat den deutschen Streitkräften an Ausrüstung gefehlt.

Die geplante Befreiung der deutschen Geiseln aus der Gewalt der Piraten ging schief. Doch was waren die Gründe? Während die Parteien über eine Verfassungsänderung streiten, kommen viele Abgeordnete und Experten zu einem ganz anderen Ergebnis: Es hat den deutschen Streitkräften an Ausrüstung gefehlt - und den beteiligten Bundesministern am Willen, zusammen zu arbeiten.

Transport in geliehenen Maschinen

Ulrich Kirsch, der Chef des Bundeswehrverbandes, hat das Geschehen vor der somalischen Küste Anfang Mai analysiert, als Berlin den Versuch von 200 GSG-9-Polizisten abbrach, die entführten Seeleute der „Hansa Stavanger“ nach einem Monat Geiselhaft zu befreien. Der Oberstleutnant zieht eine gravierende Schlussfolgerung: „Uns fehlen Großraum-Transportflugzeuge, die in der Lage sind, die Einsatzkräfte vor Ort zu bringen“. Auch einen Hubschrauberträger benötige Deutschland, wenn es solche Aktionen national machen wolle. Kirsch empfiehlt aber da aber die Kooperation mit Nachbarländern als Ausweg.

In der Tat: Als die Polizisten der Grenzschutzgruppe 9 am Karfreitag mit mehreren Flugzeugen an die Ostküste Afrikas gebracht wurden, passierte das weitgehend in gepumpten ukrainischen Maschinen. Parallel wurde ein weiterer Mangel offensichtlich. Die Grenzschützer brauchten sechs Hubschrauber für die Aktion. Auf den Plattformen der deutschen Fregatten können aber allenfalls zwei Drehflügler landen. Schließlich sprangen die Amerikaner mit ihrem Träger „Boxer“ ein, redeten dafür aber bei der Operationsführung mit und empfahlen schließlich den Abbruch des Unternehmens möglicherweise auch deshalb, weil die Deutschen wegen der Transportprobleme zu spät am Einsatzort aufgetaucht waren.

Braucht die Bundeswehr Hubschrauberträger?

Jetzt denkt nicht nur der Bundesverteidigungsminister darüber nach, den Mangel zu beseitigen und nachzurüsten. „Die Frage eines Hubschrauberträgers stellt sich neu“, heißt es im Umfeld der Bundeswehr-Führung mit dem Verweis auf die Niederlande, die selbst ein solches Gerät bauen. Die Unionsabgeordneten im Innenausschuss teilen diese Meinung genau so wie Parlamentarier der SPD und der Grünen. „Ich bin überrascht, dass Innen- und Verteidigungsministerium die Defizite erst jetzt bemerken“, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Rainer Arnold.

Das Nachdenken wird teuer. Schon Mitte der 90er-Jahre lag ein Konzept vor. 196 Meter lang und 22 000 Tonnen schwer sollte das Schiff werden, acht Hubschraubern Platz bieten und 700 Soldarten, ein Lazarett und reichlich Platz für Rad- und Kettenfahrzeuge. Abschreckend wirkte dann der errechnete Preis: Mehr als 300 Millionen Euro wären für den Bau eines Exemplars fällig gewesen, und die Bundesmarine wollte gleich drei davon. Der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) stoppte die Sache.

Zweifel an Kompetenz der Bundesregierung

In Zeiten erneut knapper Kasse und gestiegener Stahl- und damit Werftpreise sind den heutigen Parlamentariern solche Vorbehalte nicht unbedingt fremd. Birgit Homburger, FDP-Abgeordnete, macht sich deshalb wie der Bundeswehrverbandschef Kirsch dafür stark, Synergien mit den Nachbarn zu nutzen und den Piratenkampf auf breitere Grundlage zu setzen. Sie ist für ein Nato-Mandat – eine Überlegung, die es auch im Bundesverteidigungsministerium gibt. Ähnlich denkt der Grüne Winfried Nachtweih. Zudem: „Das dauert zu lange, bis so ein Schiff einsatzfähig ist“, sagte der SPD-Experte Rainer Arnold. Verstärkte Luftaufklärung vor der Küsten Somalias sei zunächst die dringendere, vorbeugende Sache. Immerhin sitzen nach wie vor mehrere hundert gekidnappte Seeleute in der Geiselhaft der Piraten und fast jeden Tag kommt eine Crew dazu.

Kirsch schließlich glaubt, dass die Aktion Anfang Mai noch an ganz anderen Dingen gescheitert ist: An der Kompetenz der Bundesministerien, solche Einsätze zu koordinieren. „Das Bundesinnenministerium hat nach meinem Kenntnisstand direkt die Verbindung zu den Amerikanern aufgenommen“, sagt der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes – alleine und vorbei an den ebenfalls zuständigen Ministerien für Auswärtiges und Verteidigung. „Offensichtlich ist da einiges an Nachholbedarf gegeben“.