Essen. 75 Jahre nach der Machtübergabe an Hitler am 30. Januar 1933 hatte die WAZ ihre Leserinnen und Leser gefragt: Wie haben Sie die NS-Zeit erlebt? In dem neuen Buch „1933 – Das Ruhrgebiet unter dem Hakenkreuz” berichten nun unsere Leser.
Es war ein bitterkalter Wintertag, als der Abstieg der Deutschen in den Abgrund begann. Am Abend jenes 30. Januar 1933 erlebte Berlin gespenstig anmutende Szenen: Mit lodernden Fackeln, Fahnen und Kapellen ziehen die Trupps der Nationalsozialisten in Richtung Brandenburger Tor durch die Stadt. Dauernd ertönen Deutschlandlied, „Die Fahne hoch” und die „Wacht am Rhein”. An einem Fenster in der Wilhelmstraße steht Adolf Hitler, sieht dem Treiben zu. Ovationen schlagen ihm entgegen.
Stunden zuvor hat ihn der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Kanzler ernannt; der Weg in den „Führerstaat” ist geebnet. Er endet mit Abermillionen Toten, einem verwüsteten Europa und Deutschlands Untergang.
Aus Anlass des 75. Jahrestages der Machtübergabe an Hitler am 30. Januar 1933 hatte die WAZ ihre Leserinnen und Leser gefragt: Wie haben Sie die NS-Zeit erlebt? Der Aufruf hatte eine Flut an Reaktionen und Zuschriften zur Folge. Es war, als sei ein Tor zur Vergangenheit geöffnet worden. Wir haben kurze Darstellungen erhalten, aber auch detailreiche, ausführliche Schilderungen von Erlebnissen aus den dreißiger und vierziger Jahren. Einige Leser erklärten sich bereit, ihre Erlebnisse jungen Leuten in Schulen mitzuteilen. Einst, als sie selbst Schüler waren, lehrten Lehrer sie Hass.
In dem neuen Buch „1933 – Das Ruhrgebiet unter dem Hakenkreuz” berichten unsere Leser, wie sie Synagogen brennen sahen, und wie die SA ihren jüdischen Nachbarn Gewalt antaten. Sie sahen, wie ihre Väter vor ihren eigenen Augen gedemütigt und geschlagen wurden, weil deren politische Haltung nicht genehm war. Sie berichten von Gräueltaten im Krieg und erinnerten an die eigene Angst vor den Bomben der Alliierten. Sie erzählen aber auch, wie das Regime gerade auch die Jugend zu verführen verstand.
War vorauszusehen, was später kam? „Am 30. Januar 1933 kam abends mein Vater von der Arbeit nach Hause. Bei der Begrüßung sagte Mutter: „Die haben Hitler gewählt.” Daraufhin sagte mein Vater: „Hitler bedeutet Krieg.” – Woher weiß mein Vater das?, fragte sich WAZ-Leser Heinrich Schade, damals neun Jahre alt, und berichtet heute: Ich erfuhr, dass mein Vater „Mein Kampf” gelesen hatte.
Viele Schilderungen durchziehe ein tiefer Zwiespalt, erklärt der Historiker Prof. Lutz Niethammer, der einen Fachbeitrag für das Buch schrieb. Denn viele der heute über 70-Jährigen gestehen sich kritisch ihre anfängliche Begeisterung für die Jugendorganisationen des Dritten Reiches ein, die ihnen angesichts des Drills aber bald verging – und die Skepsis ihrer Eltern, die ihre Begeisterung für Hitler-Jugend und BDM nicht gern sahen. Heute wissen die damaligen Kinder und Jugendlichen, fasst die Historikerin Franka Maubach zusammen: Die Eltern hatten es eben doch besser gewusst.
Ergänzt ist das Buch durch Auszüge der engagierten Rede, die Bundestagspräsident Norbert Lammert aus Anlass des 75. Jahrestages der NS-Machtübernahme im Parlament hielt. Und der Bochumer Historiker Prof. Klaus Tenfelde beleuchtet das Ruhrgebiet „Unter brauner Herrschaft”.
Zeitzeugen seien Vorbilder, urteilt Prof. Niethammer, er ist Experte für von Zeitzeugen überlieferte Geschichte. Und auch WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz betont in seinem Vorwort: „Für mich gehören solche Berichte zu den eindrücklichsten Versuchen, sich mit der deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen.”
Norbert Jänecke und Rolf Potthoff
Bericht: Franzosen im Revier - Ruhrkampf 1923