Kfarnabrak. Für die Weihnachts-Spendenaktion von WAZ und Kindernothilfe trafen wir Shireen aus Syrien im Libanon wieder. Sie ist jetzt ein glückliches Mädchen.
Shireen hat keine Alpträume mehr. Allerdings geht sie jetzt häufig gar nicht erst schlafen. Sie sitzt dann auf dem blanken Boden im Schneidersitz, im Licht einer nackten Glühbirne – und liest. Manchmal macht sie auch Hausaufgaben.
Shireen ist glücklich.
Vor einem Jahr noch, beim ersten Besuch, war sie ein trauriges Kind. Shireen aus Al Qunaitra, Syrien, die fortgerannt war vor dem Blut und den Bomben, die ihre Tante getötet hatten im Zimmer nebenan. Monate lag das schon zurück, aber die 13-Jährige war immer noch atemlos, wenn sie davon erzählte im Kinderschutzzentrum von Kfarnabrak, Libanon. Wo sie Bilder malte, auf denen sie selbst sich die Ohren zuhielt unter dem Kopftuch: gegen die Schreie und gegen das Schweigen der Tiere, wenn der Krieg wieder ganz nah war.
In der Schule ist sie „happy“
Heute ist Shireen 14 und sagt auf die Frage, wie es ihr geht, nur ein Wort: „Happy.“ Sie geht jetzt zur Schule, sie hat Lesen und Schreiben gelernt und im Zentrum der Kindernothilfe, wie man die Furcht in die Flucht schlägt: „Ich atme die Angst aus“, sagt sie und holt tief Luft. „Und ich atme Liebe ein.“ Shireen lächelt. Die Sozialtherapeutin Fayrousa Nasr hat ihr das beigebracht, die guckt jetzt ein wenig gerührt, aber auch besorgt. Kann es wirklich sein, dass das Mädchen seinen Kummer vergessen hat?
Nun ist es nicht so, dass sie „ihre“ Kinder einfach ziehen lässt, wenn sie endlich in die Schule dürfen und nicht mehr angewiesen sind auf tägliche Therapie. Fayrousa Nasr weiß, wie es dort aussieht, wo Shireen jetzt „zuhause“ ist. Die Familie ist oft umgezogen, seit sie in den Libanon floh, immer wieder kann der Vater die Miete nicht bezahlen. Dann muss er Geld leihen, er hat jetzt Schulden, und manchmal sagt er: „Wir werden zurückgehen müssen.“
Shireen liest bis nachts um drei
Shireen ballt ihre Hände zu Fäusten, als sie das erzählt, stellt die verkrampften Finger aufeinander, die großen dunklen Augen füllen sich mit Tränen. „Angst ausatmen“, flüstert Fayrousa. Und erklärt: „Die Kinder haben kein Heimweh mehr. Niemand wird seine Heimat vergessen, aber sie wollen nicht zurück.“ Shireen sagt, es liegt an den Kriegsbildern im Fernsehen. Ihr Vater sagt, „unser Problem sind die Mädchen“. Acht Kinder hat er, das älteste 17, das jüngste fünf Jahre alt, alle sind Töchter. Ein Junge würde Geld verdienen.
Auch deshalb liest und lernt Shireen bis nachts um drei. Sie will Lehrerin werden oder Ärztin, wie alle Flüchtlingskinder, die etwas wieder gutmachen wollen. Am Anfang, erinnert sich Fayrousa Nasr, haben die meisten nicht einmal eine Ahnung, wie ihr Leben weitergehen soll. Nach zwei, drei Monaten im Kinderschutzzentrum „wissen sie, was sie vom Leben wollen“. Deshalb strengt Shireen sich an. Sitzt da auf der kalten Erde, im Winter tropft es von der Decke, und steht morgens trotzdem früh auf, um der Mutter beim Abwasch zu helfen.
Shireen braucht weiterhin Hilfe
Das Buch, das sie gerade liest, ist gar nicht wahr, es heißt „Ich will nicht zur Schule“. Shireen findet das lustig. Aber sie hat noch ein zweites. Das Märchen vom Blaubart, auf Arabisch und auf Englisch und mit vielen Bildern. Auch ihre Schwestern blättern darin. Am liebsten mögen sie zwei der großformatigen, bunten Motive: die weinende Prinzessin mit blutenden Händen. Und den bösen König mit einem Messer im Bauch.
Fayrousa Nasr und die Kindernothilfe können diese Mädchen noch nicht allein lassen.