An Rhein und Ruhr. Weniger Absatz, dafür mehr Sorten. Im Biermarkt steckt jede Menge Bewegung. Gerade an Rhein und Ruhr eröffnen mehr kleine Brauereien.

Kaum ein Getränkemarkt kommt heute noch ohne sie aus: eigene Regale mit Bierspezialitäten. Oft sortiert nach In- und Ausland stehen hier große und kleine Braunglas-Flaschen mit bunten Etiketten, ausgefallenen Namen und spürbar höheren Preisen. Der Biermarkt in Deutschland ist mächtig in Bewegung, vielen Kunden dürfte das bereits aufgefallen sein. Dabei sind die Vorzeichen dafür keine guten. Seit Jahren schon sinkt der Pro-Kopf-Verbrauch beim Bier stetig, seit der Wiedervereinigung sogar um 40 Liter. Auch die Absatzzahlen der Brauereien fallen teilweise rapide.

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Trotzdem steigt die Zahl der Braustätten hierzulande weiter an. Allein in NRW kamen im vergangenen Jahr 14 neue Brauereien dazu. Seit 2010 stieg die Zahl bundesweit sogar um mehr als 200 Brauereien, so der Deutsche Brauer-Bund. Ein Grund für diesen Trend sieht der Verband in der „Craft-Bier-Welle, die von Amerika herübergeschwappt ist.“

Bier wird bewusster konsumiert

„Craft“ – aus dem Englischen für Handwerk – sind Biere aus kleinen, inhabergeführten Brauereien, handwerklich gebraut und gerne mit ausgefallenen Zutaten wie Pfeffer, Kreuzkümmel oder Hafer versehen. Aber auch spezielle Hopfen- und Malzsorten verleihen dem Bier, das nur in seltenen Fällen ein Pils ist, eine individuelle Note, die immer mehr Biertrinker offenbar zu schätzen wissen, wie Marc-Oliver Huhnholz vom Deutschen Brauer-Bund erklärt: „Die Menschen konsumieren und trinken anders, bewusster.“

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Zu diesem neuen Bewusstsein gehört auch die Herkunft des Bieres. Kunden greifen vermehrt zu Bieren, die vor ihrer Haustür oder nicht weit davon entfernt gebraut wurden. Besonders im Ruhrgebiet und am Niederrhein haben Bierliebhaber hier die Qual der Wahl. Denn zu den großen, alteingesessenen Brauereien wie König, Stauder und Fiege gesellen sich immer mehr Klein- und Kleinstbrauereien. Viele davon experimentieren mit besonderen Bierstilen wie Indian Pale Ale, Barleywine und Russian Imperial Stout, andere lassen Sorten und Rezepte wieder aufleben, die in den letzten Jahren ein Schattendasein führten.

„Diese neuen Biere, die gar nicht so neu sind, erweitern das Biersortiment und machen es vielseitiger“, sagt Verbandssprecher Huhnholz. Pils bleibe in Deutschland aber weiterhin die meistgetrunkene Sorte. Eine Sorte aber, der die großen Brauereien offenbar nicht mehr großes Wachstumspotenzial zutrauen. Denn auch sie setzten vermehrt auf Keller- und Landbiere und saisonale Stile, wie Winterbock und Weihnachtsbier. „Die Stile rücken vermehrt in den Fokus.“ Und in die Märkte.

Bier aus Mikro-Brauereien steht im Getränkemarkt neben den großen Fernsehbieren

Hier stehen sie dann neben dem Bier von Winfried Jäger – zumindest in einigen Märkten am Niederrhein. In seinem Brauhaus in Xanten braut er seit fast zehn Jahren Land- und Bockbiere im kleinen Rahmen hobbymäßig. „Der Mainstream verliert an Absatz“, sagt der gelernte Brauer, „die Leute mögen diese Biere nicht mehr.“ Stattdessen seien viele Kunden experimentierfreudiger geworden und neugierig darauf, was Bier abseits vom Standard-Pils so zu bieten habe. Gerade bei kleinen Braustätten, so ist sich Jäger sicher, würden die Kunden das Herzblut merken, das in jeder Flasche stecke.

Ein gesteigertes Angebot bedeutet auch für den Handel große Veränderungen. So entstehen in der Region seit einigen Jahren vermehrt Bier-Fachgeschäfte, die neben ausgefallenen Bierstilen auch mit Verkostungen und Veranstaltungen wie „Triff den Brauer“ die Lust auf neue Biere steigern wollen. Daneben setzen auch herkömmliche Getränkemärkte zunehmend auf ein vielseitiges Bier-Angebot. So etwa die zu Edeka gehörende Kette trinkgut. Rund 2000 verschiedene Artikel im Bereich Bier habe man auf Lager, so eine Edeka-Sprecherin, man sei so auf Vielfalt und Individualität ausgerichtet. Den Trend begrüße man grundsätzlich, da er den Markt belebe und Kunden zum Ausprobieren animiere.

Handel setzt auf ein vielfältiges Angebot

Ähnliches gilt für die Kette Trink & Spare. Die Mülheimer Firma hat innerhalb weniger Jahre ihr Getränkeangebot von 350 auf 800 Biersorten mehr als verdoppelt, so Sprecher Mike Elsig. Dadurch verändern sich auch die Märkte: Statt in Kästen auf Paletten würde Bier zunehmend einzeln in Regalen angeboten. Einziges Problem der Händler sie die Leergut-Rückführung, so die Edeka-Sprecherin. Mit wachsender Vielfalt steige auch die Zahl der Flaschenarten, damit Aufwand und Komplexität bei der Sortierung.

Unser Bier - mehr als nur Alt und Pilsken! Bei aller Bewegung, die im Biermarkt steckt, so ist der Marktanteil der Craft-Bier-Brauer in Deutschland noch sehr überschaubar. Auf rund ein Prozent schätzt ihn der Deutsche Brauerbund. Jede Menge Luft nach oben also. Und auch die Brauer selbst sehen sich erst am Anfang einer Entwicklung, wie etwa Arne Hendschke vom Brauprojekt 777 aus Spellen: „Craft-Bier steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen.“

>>>> Bierbrauer aus der Region setzen auf gebündelten Vertrieb

Das besondere Holzregal, prall gefüllt mit unterschiedlichen Bierflaschen, sticht in den Räumlichkeiten des Brauprojekts 777 in Spellen sofort ins Auge. „Bier von hier“, steht oben auf einem Schild geschrieben und darunter findet sich mehr als ein Dutzend unterschiedlicher Biere von Brauereien aus der Region. Neben dem Brauprojekt gehören die Brauerei Fleuther aus Geldern, das Brauhandwerk Hensen aus Mönchengladbach, Mücke aus Essen und Ruhrpottbrew aus Oberhausen zu dem besonderen Projekt.

Torsten Mömken vom Brauprojekt 777 vor dem „Bier von Hier“-Regal.
Torsten Mömken vom Brauprojekt 777 vor dem „Bier von Hier“-Regal. © FUNKE Foto Services | Markus Joosten

„Auf die Idee sind ursprünglich Dennis Pfahl von Mücke und Tobias Palmer von Ruhrpottbrew gekommen“, erzählt Torsten Mömken vom Brauprojekt 777. „Es ging darum, sich mit verschiedenen Brauereien zusammenzutun, um Liefermöglichkeiten auszuloten.“ Das Problem der kleinen Brauereien: Sie stellen Biere her, die sich nicht so lange halten, wie die Produkte der großen Brauereibetriebe. Daher werden von Händlern oft vergleichsweise kleine Mengen angefragt. „Mit der Kooperation können wir die Lieferungen effizienter gestalten – und damit auch CO2 einsparen“, erklärt Torsten Mömken.

Eigenes Holzregal für Supermärkte

Präsentiert werden die Biere der lokalen Brauereien vom Niederrhein und aus dem Ruhrgebiet in Holzregalen, die extra dafür von der Schreinerei der Albert-Schweizer-Einrichtung in Dinslaken kommen, von wo das Brauprojekt auch schon seine hölzernen Bierkästen bezieht. „Mittlerweile steht das Regal in zehn verschiedenen Supermärkten und das sollen in Zukunft noch mehr werden“, sagt Torsten Mömken.

Die gemeinsame Logistik der Brauereien liegt dabei in den Händen der Niederrhein-Westfälischen Braumanufaktur von Wilhelm Kloppert aus Hamminkeln. „Damit haben die Händler, die unsere Biere anbieten möchten, den Vorteil, dass sie einen festen Ansprechpartner haben“, sagt Torsten Mömken. Und er glaubt, dass die Marke „Bier von hier“ auch für die Kunden interessant ist. „Die Kunden können auf den ersten Blick sehen, dass sie ein Produkt von einer Brauerei in der Hand haben, die aus der Region ist“, sagt er.

„Zudem erleichtert das spezielle Regal die Suche nach unseren Produkten.“ Und vielleicht kommt ja der ein oder andere Bierfreund auf die Idee, einer der regionalen Brauereien auch mal persönlich einen Besuch abzustatten.