Röszke/Ungarn. Erst stellt sie einem fliehenden Vater ein Bein, tritt später auf Flüchtlinge ein, wird dabei gefilmt und schließlich gefeuert. Jetzt hat sich Petra L. entschuldigt: Sie sei keine herzlose, rassistische Kamerafrau, die Menschen tritt.

Die ungarische Kamerafrau Petra L., die einem flüchtenden Vater mit Kind ein Bein gestellt und damit weltweit für Empörung hatte, entschuldigt sich. Sie sei keine herzlose, rassistische Kamerafrau, die Menschen tritt, schreibt sie in einem offenen Brief an die konservative ungarische Tageszeitung „Magyar Nemzet“.

Ticker - Täglich zwei Sonderzüge mit Flüchtlingen in NRW

Ungarn hat ein hartes Durchgreifen gegen Flüchtlinge angekündigt. Falls die Regierung den Krisenfall ausrufe, werde jeder illegale Einwanderer "sofort verhaftet", sagte Ministerpräsident Viktor Orban am Freitag in Budapest. "Wir werden sie nicht mehr höflich begleiten wie bisher."

Am kommenden Dienstag will Ungarns Kabinett entscheiden, ob der Krisenfall erklärt wird. Das würde unter anderem bedeuten, dass das Militär die Grenzschützer unterstützen darf. Separat soll das Parlament am 21. September entscheiden, ob die Armee auch dann zum Grenzschutz herangezogen werden darf, wenn kein Krisenfall oder Notstand ausgerufen wurde. Mittlerweile wurden 3800 ungarische Soldaten zu den Bauarbeiten am Zaun an der serbischen Grenze abkommandiert.

Kritik an Versorgung der Flüchtlinge in Ungarn

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Menschenrechtler beklagten, dass der ungarische Staat die Flüchtlinge unzureichend versorge. Bisher habe nur das Engagement von Freiwilligen eine Katastrophe im Flüchtlingslager Röszke an der serbischen Grenze verhindert, sagte der Koordinator des Flüchtlingsprogramms beim ungarischen Helsinki-Komitee, Gabor Gyulai.

Wenn vom kommendem Dienstag an die Überquerung des Zauns an der Grenze zu Serbien strafbar werde, sei zudem mit der Inhaftierung und schnellen Abschiebung von zahllosen Flüchtlingen zu rechnen. Damit entstehe eine schwierige Lage mit unabsehbaren Folgen für Serbien.

Ungarn kritisiert die EU

Ungarns Regierungschef Orban kritisierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der eine Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU vorgeschlagen hat. Juncker sei dabei, "den europäischen Konsens zu zerstampfen", sagte der nationalkonservative Regierungschef, ohne direkt auf dessen Vorschläge einzugehen. Es gehe nicht an, dass die EU-Kommission Regelungen schaffe, ohne vorher die nationalen Regierungschefs zu konsultieren.

Din Deutschland sieht sich Landrat Erich Pipa von der SPD wegen seines Engagements für Flüchtlinge Morddrohungen ausgesetzt. Sie gehen von Rechtsextremisten der "Initiative Heimatschutz Kinzigtal" aus, wie der Verwaltungschef des Main-Kinzig-Kreises bei einer Pressekonferenz sagte. Am Freitag machte Pipa den Vorgang in Gelnhausen öffentlich. "Nichts tun, würde Schweigen bedeuten. Ich werde mich nicht einschüchtern lassen", sagte der 67-Jährige kämpferisch.

Mehrheit der Deutschen heißt Flüchtlingspolitik gut

Eine deutliche Mehrheit der deutschen Bürger ist derweil laut einer Umfrage mit der deutschen Flüchtlingspolitik einverstanden, rechnet aber nicht mit der Hilfe anderer EU-Staaten. So bezeichneten 66 Prozent der Befragten im ZDF-"Politbarometer" die Entscheidung, Zehntausende Flüchtlinge aus Ungarn einreisen zu lassen, als richtig. 29 Prozent sehen das nicht so, teilte der Sender am Freitag mit.

Alles in allem finden 57 Prozent aller Befragten den Umfang des Engagements gerade richtig. 21 Prozent fordern mehr Anstrengungen. 17 Prozent meinen, dass zu viel für Flüchtlinge und Asylbewerber in Deutschland getan wird.

Die Ereignisse des Tages in der Chronik:

(we/dpa/Reuters)

Allerdings zeigt das Video genau das: Hunderte Flüchtlinge durchbrechen im ungarischen Röszke, nahe der Grenze zu Serbien, eine Absperrung der Polizei. Tagelang waren sie dort festgehalten worden. Die Einsatzkräfte versuchen nur halbherzig, die Menschen aufzuhalten – ganz im Gegensatz zum sonstigen Verhalten ungarischer Beamter, die auch mal mit Schlagstock und Tränengas gegen Flüchtlinge vorgehen. Petra L. Steht etwas abseits der rennenden Menschen, filmt das Geschehen. Der Vater mit seinem Kind auf dem Arm läuft abseits der Hauptgruppe, als L. ihr Bein ausstreckt und ihn zu Fall bringt. Ein zweites, wenig später aufgenommenes Video zeigt, wie sie weibliche Flüchtlinge attackiert, die aus der Masse ausbrechen.

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Eine Szene mit Symbolcharakter für die ungarische Presselandschaft, wenn schon zur Objektivität verpflichtete Journalisten handgreiflich werden? Immerhin: Laut N1TV-Chefredakteur Szabolcs Kisberk sei das Verhalten der Kamerafrau inakzeptabel. Gewalt gegen Menschen dürfe nicht toleriert werden, „auch wenn es sich um Flüchtlinge handelt“. N1TV soll der rechtsextremen Jobbik-Partei nahestehen.

"Schwer, in Panik richtige Entscheidung zu treffen"

Ob L. aus rassistischen Gründen handelte, kann nur sie selbst beantworten. Vielleicht ist sie keine herzlose, rassistische Kamerafrau, die Menschen tritt. Sondern nur eine herzlose Kamerafrau, die Menschen tritt. Macht das die Sache besser?

Sie sei in Panik geraten, dachte, dass die Menschen sie angreifen wollten, begründet L. ihr Verhalten. „Es ist schwer, richtige Entscheidungen zu treffen, wenn man in Panik ist“, schreibt sie. Gegen ein Versehen spricht, dass es sich eben nicht um einen einzelnen „Ausrutscher“ handelte – schließlich handelte die Journalistin mehrfach in dieser Weise. Sie bedaure, was passiert ist, schreibt L., und sie übernehme die Verantwortung dafür.

Die ungarische Staatsanwaltschaft ermittelt

Ihr Sender N1TV hat bereits Konsequenzen gezogen und sie gefeuert. Anlass für die vielleicht nicht rassistische, aber in jedem Fall herzlose Ex-Kamerafrau, über ihre eigene Situation zu klagen: „Ich verdiene es nicht, dass eine politische Hexenjagd auf mich gemacht wird.“ Sie bekomme Morddrohungen. Und zieht die Mitleidskarte, die sie anderen Menschen mehrfach verwehrt hat: „Ich bin nur eine jetzt arbeitslose Mutter von kleinen Kindern, die in einer Paniksituation die falsche Entscheidung getroffen hat. Es tut mir wirklich leid.“ Die Staatsanwaltschaft des Verwaltungsgebiets Csongrad ermittelt.

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