Essen. . Zechen und Kumpel prägten lange das Ruhrgebiet. Los ging es mit der Kohle vor 300 Millionen Jahren, als die Region von Urwäldern bedeckt war.

Bekanntlich endete die Steinzeit ja nicht deshalb, weil es keine Steine mehr gab. Ebenso ist es mit dem Kohlezeitalter. Etwa 8,5 Milliarden Tonnen wurden im Ruhrgebiet seit Beginn der Förderung ans Licht geholt. Nach Schätzungen des Geologischen Dienstes steht NRW immer noch auf unglaublichen 440 Milliarden Tonnen Steinkohle. Kohle satt! Bis in alle Zukunft. „Vom Ruhrgebiet über das Münsterland bis zu Nordsee – da ist alles noch voll“, sagt die Geologin Ulrike Stottrop. Dennoch ist die Zeit für die heimische Kohle vorbei, ihr Abbau lohnt nicht mehr.

Zollverein in Essen – die Kathedrale unter den Zechen – bewahrt im dortigen Ruhr Museum das Erbe des Ruhrbergbaus. Mit dem Aufzug geht es runter ins Karbon – 300 Millionen Jahre zurück in der Erdgeschichte. Dazu muss man zunächst wissen, dass das Ruhrgebiet zu dieser Zeit ungefähr am Äquator lag und das Klima tropisch warm und feucht war. Die Landmassen der Erde waren noch nicht in einzelne Kontinente auseinandergerissen – ein einziger gigantischer Superkontinent ragte aus dem Urmeer: Pangäa.

Er erstreckte sich vom Nord- bis zum Südpol. Und so kommt es, dass sich die heutigen Kohlevorkommen von Kanada über England, die Niederlande, das Ruhrgebiet und Polen bis nach Russland ziehen – Ergebnis eines einzigen riesigen Ablagerungsraumes, der sich im Laufe der Jahrmillionen zu einem den halben Globus umlaufenden Steinkohlegürtel entwickelte und erst später mit den Kontinenten in viele Teile zerbrach.

Moore und Sümpfe, wo heute das Ruhrgebiet liegt

Riesige Sümpfe, tiefe Moore, undurchdringlicher Urwald, gigantische Bäume, die mehr als 100 Meter in den Himmel wuchsen – so muss man sich die Gegend im Ruhrgebiet vorstellen, als vor 300 Millionen Jahren die Steinkohle entstand.

Ulrike Stottrop, Geologin am Ruhr Museum, findet: Eigentlich sei Kohl zu schade, um sie zu verstromen.
Ulrike Stottrop, Geologin am Ruhr Museum, findet: Eigentlich sei Kohl zu schade, um sie zu verstromen.

Ulrike Stottrop, Leiterin der Abteilung Geologie/Naturkunde am Ruhr Museum, zeigt auf das Diorama im Untergeschoss des Museums, das die damalige Landschaft nachstellt: „Es gab noch keine Laubbäume, die Wälder waren hell und still, denn auch Vögel waren noch nicht da“, erklärt die Wissenschaftlerin. Dinosaurier natürlich auch nicht. Und wer es wissen will: Die Erde drehte sich ein bisschen schneller als heute, der Tag hatte nur 22 Stunden, das Jahr aber 398 Tage, weil der Planet einen weiteren Weg um die Sonne nahm.

Bevölkert wurden die sumpfigen Wälder von Reptilien und großen Libellen, die ein Spannbreite von 70 Zentimetern erreichen konnten. Sie schwirrten zwischen Siegel- und Schuppenbäumen umher, Farnen und gigantischen Schachtelhalmen, die 15 Meter in die Höhe wuchsen. Vor der versteinerten Variante solcher Ur-Bäume fürchten sich die Bergleute übrigens noch heute, brechen sie doch nicht selten als kolossale Brocken herunter.

Der „Druck der Jahrtausende“ macht Kohle möglich

Im Zeitraffer muss man sich die Entstehung der Kohle ungefähr so vorstellen: Als sich durch die Bewegung der Erdkruste Gebirge auftürmten, entstanden in der Druckzone davor gewaltige Senken. Diese füllten sich im Laufe der Jahrmillionen mit allerlei Zeug. Bäume, Pflanzen, Pollen, Schutt, Sand, Geröll. Unzählige Bäume starben ab, neue wuchsen, es bildeten sich dicke Humusschichten. Wo die abgestorbenen Pflanzen im Sumpf versanken, kam kein Sauerstoff an die Pflanzenreste, sie konnten nicht durch Bakterien abgebaut werden, da diese dafür Sauerstoff benötigen. Deshalb verfaulte das Grünzeug nicht einfach, sondern wurde zu Torf – die erste Stufe im Prozess der sogenannten Inkohlung, der Verwandlung von Pflanzen in Kohle.

Das Meer schwappte darüber hinweg, brachte riesige Mengen neuen Materials mit, Sand, Geröll, Sedimente. Dann zog sich das Wasser wieder zurück. Im Laufe der Jahrtausende wiederholte sich dieser Prozess mehrfach, mal lagerte sich Gestein ab, dann wieder abgestorbene Pflanzen. So entstanden die verschiedenen Schichten, deren geologisches Alter die Wissenschaftler sehr gut anhand bestimmter Leitfossilien bestimmen können.

Fossilien helfen Forschern bei Alters-Bestimmung

Ulrike Stottrop zeigt auf einen runden Stein, auf dem sich Dutzende versteinerte, daumengroße Gebilde abgelagert haben. „Das sind Goniatiten“, erklärt sie. Wer es nicht weiß: Es handelt sich um schneckenförmige Weichtiere mit glatter Kalkschale, die am Ende des Paläozoikums ausstarben. „Sie stellen im Karbon ein wichtiges Leitfossil dar, denn sie waren weit verbreitet und kamen zu einer bestimmten Zeit häufig vor.“ Der Mensch eigne sich übrigens auch prima als Leitfossil für Geologen in einer ferner Zukunft, sagt sie plötzlich und lächelt. „Er kommt auf dem Globus fast überall vor – und tut gerade sein Bestes, um bald auszusterben.“ Geologen-Ironie eben.

Zurück zur Inkohlung: Immer mehr Material lagerte sich über den Torfschichten ab, der Druck nahm zu und presste das Wasser heraus. Zusammen mit höheren Temperaturen und einem komplizierten biomechanischen Prozess wurde aus dem Torf zunächst Braunkohle. Und als diese immer tiefer sackte, Druck und Hitze weiter zunahmen, wurde aus der Braunkohle zuletzt Steinkohle. Da die abgestorbene Vegetation luftdicht verpackt war, konnten die bei der Zersetzung entstehenden Gase nicht entweichen und sammelten sich in der Kohle an. Unter anderem Methan, Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Wasserstoff. Dieses Grubengas kann bei einer gewissen Konzentration explodieren, Bergleute fürchten dieses „Schlagwetter“.

Erster Kohlenfund vor mehreren Hundert Jahren

Dass wir im Ruhrgebiet die Kohle zum Teil relativ dicht unter der Erdoberfläche finden, hat seine Ursache im Tertiär. Vor etwa 50 Millionen Jahren also trennte sich gerade Europa von Nordamerika. Der Rheingraben sank ab und stellte eine Verbindung zwischen Nordsee und Mittelmeer her. Kontinentalplatten krachten aufeinander und falteten die Alpen auf. In Süddeutschland spuckten Vulkane Feuer. Die Steinkohleschichten, die lange zuvor entstanden waren, wurden zwischen Rhein und Lippe gefaltet, gebrochen und emporgehoben. An der Ruhr traten die Steinkohleflöze bis an die Oberfläche und warteten darauf, entdeckt und abgebaut zu werden.

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© Geologischer Dienst NRW

Wann wurde zum ersten Mal Steinkohle gefunden, Frau Stottrop? „Hm? Vor ein paar Hundert Jahren, denke ich“, sagt sie. Das sind offenbar zu kurze Zeiträume für eine Geologin, die in Erdzeitaltern denkt. Es wird allerdings berichtet, dass dies im Mittelalter geschah. Die Sage geht so: Es war einmal ein kleiner Junge, der am Ufer der Ruhr Schafe hütete. Abends machte er sich ein Feuer, um sich zu wärmen. Als er am nächsten Morgen erwachte, war sein Holz längst verbrannt, doch das Feuer glühte immer noch. Die Erde kokelte und qualmte, ja, die ganze Wiese brannte! Der kleine Hirtenjunge hatte die Steinkohle entdeckt.

Steinkohlen-Bergbau startete 1370 im Revier

Ob die Legende stimmt – niemand weiß es. Wann und wo zum ersten Mal in Steinkohle gefunden und gefördert wurde, liegt im Dunkeln der Geschichte. Fest steht aber, dass es bereits im 12. Jahrhundert in der Nähe von Lüttich und bei Aachen Steinkohlebergbau gab. Das Ruhrgebiet folgte etwa um 1370.

Offenbar, das besagen historische Quellen, sahen sich die Menschen wegen des Holzmangels gezwungen, neue Energiequelle zu erschließen. Im Laufe der Jahrhunderte stellte sich heraus, dass NRW über die größte nutzbare Steinkohlelagerstätte Deutschlands verfügt. Der Rest ist Geschichte. In nur wenigen Jahrzehnten hat der Mensch durch den Bergbau für ein paar Milliarden Tonnen Kohle eine Landschaft umgekrempelt, die in vielen Millionen Jahren entstanden war – „eigentlich Irrsinn“, sagt Ulrike Stottrop.

Wichtiger Indikator für Umweltbedingungen

Einst war die Kohle das schwarze Gold. Heute ist sie zu teuer, schmutzig und klimaschädlich. Wenn die letzte Zeche am Jahresende schließt, ist die Steinkohlezeit in Deutschland endgültig vorbei. Für Ulrike Stottrop aber ist die Kohle mehr als nur ein Energieträger. „Eigentlich ist sie zu schade, um sie zu verheizen“, sagt sie. „Generationen von Wissenschaftlern haben sich im Zuge des Bergbaus mit der Erforschung von Fossilien beschäftigt. Ein Puzzlespiel, das sie nach und nach zur Erklärung der Entstehung und Entwicklung von Pflanzen und Tieren im Laufe der Jahrmillionen zusammensetzten.“

Denn Kohle ist ein wichtiger Indikator für die Umweltbedingungen der Vergangenheit, enthält Informationen über das Klima und die Tier- und Pflanzenwelt und ihre Lebensbedingungen. Und wer weiß, vielleicht erlebt die Kohle eines Tages eine Renaissance. Dann aber nicht als Brennstoff, sondern als Lieferant für hochwertigen Werkstoff – etwa für Kohlefasern in Flugzeugen, Autos und Gebäuden. Der Bergbau ist Geschichte – doch die Kohle hat vielleicht eine Zukunft.