Am Ende eines Kinderbuchs gibt es fast immer ein Happy End. Die Kinder sollen Hoffnung haben und sehen, egal, was passiert, es gibt eine Lösung, sagt die erfolgreiche Kinderbuchautorin Kirsten Boie. Außerdem mache ein gutes Ende Lust auf weitere Bücher. Es regt zum Lesen an.

„Und sie schrie, gellend wie ein ­Vogel, es war ein Jubelschrei, den man weithin über den Wald hörte.“

Wer möchte am Ende nicht glücklich jubilieren? Und doch hat das Happy End in der Literatur nicht den besten Ruf. Kitschig sei es, ­sagen die einen. Unrealistisch, ­meinen die anderen.

Trotzdem findet man gerade bei Kinderbüchern kaum ein Ende, das nicht gut ist: Ein Ritter besiegt den Drachen, Feinde werden Freunde, nach einem Abenteuer leben alle zufrieden bis ans Ende ihrer Tage. Macht man ­Kindern damit etwas vor? Warum enden Kinderbücher so oft so gut?

„Und während sie Zukunftspläne schmiedeten, schauten sie auf das Meer hinaus und die großen und kleinen Wellen rauschten dazu an den Landesgrenzen.“

Kirsten Boie, eine der erfolgreichsten deutschen Kinderbuch­autorinnen, hat schon so manches gute Ende geschrieben: „Es ist für Kinder ganz wichtig zu sehen, dass die Dinge im Leben auch gut ausgehen können. Das Leben kann traurig sein, schwierig, ungerecht, aber am Ende kann alles gut werden – wenn man etwas dafür tut.“

Expertin für den guten Schluss: Kinderbuchautorin Kirsten Boie.
Expertin für den guten Schluss: Kinderbuchautorin Kirsten Boie. © Getty Images

Boie erinnert an ihren Schriftsteller-Kollegen Benno Pludra, der seinem Buch „Schreiben für Kinder“ den Zusatztitel gab: „Ganz hinten sollte Hoffnung sein.“ Boie, die Abenteuer für den Kleinen Ritter Trenk oder die Kinder aus dem Möwenweg erdacht hat, möchte mit einem hoffnungsvollen Ende die Einstellung der Kinder zum Leben stärken: „Es wäre ja geradezu brutal, ihnen zu erzählen: ,Warte du mal ab, alles wird schrecklich!’ Es ist doch viel, viel besser, ­ihnen zu sagen, das Leben ist eigentlich eine ganz schöne Veranstaltung, leider mit vielen Schwächen, aber grundsätzlich ist es toll, freu dich drauf und mach was draus!“

„Kasperl und Seppel aßen Pfann­kuchen mit Schlagsahne, bis sie Bauchweh bekamen, und sie waren so glücklich, dass sie mit keinem Menschen getauscht hätten, selbst mit dem Kaiser von Konstantinopel nicht.“

Ein gutes Ende ist wie eine süße Mehlspeise, es tröstet. Und wer einmal davon gekostet hat, der möchte es immer wieder genießen. Ein ­Happy End weckt somit die Lesefreude, besonders bei den Erst­lesern. Außerdem wird ein Happy End je nach Genre einfach erwartet: „Der Kriminalroman dient dazu, uns zu bestätigen, dass die Welt doch gerecht ist, dass die Bösen ­erwischt werden und die Guten ­belohnt“, sagt Boie, deren neues Buch ebenfalls ein Kriminalroman ist.

„Schwarze Lügen“ handelt von ungewolltem Rassismus (Oetinger, 415 S., 17,95 €). Eine spannende Geschichte für Leser ab 12, die Boie aus verschiedenen Perspektiven ­erzählt. Dadurch werden die Vorurteile, die selbst diejenigen haben, die sich davon freisprechen, noch deutlicher. Ein Happy End gibt es trotzdem. Kein Feuerwerk, das alle Probleme mit einem Schlag löst, sondern ein Ende, das versöhnt.

„Alle lebten sie glücklich und in Freuden, nur Lütt Hein machte manchmal noch Ärger. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. – Vielleicht.“

„Bei Jugendlichen darf es ein offenes Ende sein“, sagt Boie. „Ein offenes Ende ermöglicht dem Leser, ein Stück weiter zu denken, selbst zu überlegen, wie es weitergeht.“ Aber auch Jugendliche – und ebenso ­Erwachsene, wenn sie ganz ehrlich sind – sehnen sich ab und an nach einer literarischen Umarmung. Die muss nicht kitschig und darf etwas unrealistisch sein. Boie: „Man wünscht sich das einfach so sehr.“

„Die Narbe hatte Harry seit neunzehn Jahren nicht geschmerzt. Alles war gut.“

Ende gut, alles gut? Boie zweifelt an dieser Redewendung: „Eigentlich gibt es ja nur offene Enden, weil es immer weitergeht, bis zum Tod.“ Sie ist davon überzeugt, dass man Kindern die Wahrheit sagen und die schlimmen Seiten des Lebens ­zeigen kann. Doch am Ende sollte man sie damit nicht allein lassen und ihnen Hoffnung geben.

„Wenn man beim Leser Fragen aufge­worfen hat, die ihn wirklich beschäftigen, die er auf sein Leben bezieht, dann wird das ein Happy End nicht auslöschen.“ Ende gut, aber nicht alles ist gut. Gut ist am Ende das ­Gefühl – und die Sicht aufs Leben.

p.s.: Die Zitate in diesem Artikel sind die letzten Sätze in beliebten Kinderbüchern. Wissen Sie, welche Geschichten sie zu einem guten Ende bringen? Von oben nach unten: Astrid Lindgren: Ronja Räubertochter; Michael Ende: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer; Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz; Kirsten Boie: Leinen los, Seeräubermoses; Joanne K. Rowling: Das Ende der Harry-Potter-Reihe.