Domiz. . Im Lager Domiz im Nordirak leben über 70.000 Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet sind. Die Funke Mediengruppe hat gemeinsam mit der Caritas eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Denn im Winter droht sich ihre Lage der Flüchtlinge dramatisch zu verschlechtern. Ein Ortsbesuch.
Zenab Sheikh Mahmod sieht so klein aus, wie sie da sitzt auf der alten Matratze in der Hütte, in der sie mit den Resten ihrer Familie lebt. Sie war einmal eine wohlhabende Frau, ihr Ehemann war eine wichtige Persönlichkeit in ihrem Heimatdorf bei Afrin im Norden Syriens. Jetzt hat sie kaum mehr als Erinnerungen.
Die schlimme Geschichte vom Tod ihres Mannes, ihrer beiden Söhne, die Flucht. Ihr neues Zuhause ist ein Provisorium, zwanzig Quadratmeter, hastig gemauerte Wände aus unverputztem Stein, die Decke eine Plastikplane. Zwölf Menschen leben hier.
Frau Mahmod ist es unangenehm, hier Gäste zu empfangen, sie ist eine stolze Frau. Sie wahrt den Schein, es gibt Tee, ein alter Fernseher läuft, wie sich das gehört, wenn Gäste kommen. Es ist ihr noch unangenehmer, ihre Not zu schildern, sie war in den vergangenen 53 Jahren ihres Lebens nie auf die Hilfe Fremder angewiesen.
Spendenaktion für syrische Flüchtlinge„Der Winter wird schlimm“, sagt sie. „Wir sind hier darauf nicht vorbereitet.“ Hier, das ist das Flüchtlingslager Domiz im Nordirak, eines von einem guten Dutzend in der kurdischen Region an der Grenze zu Syrien.
Domiz ist innerhalb eines Jahres zu einer Kleinstadt geworden
So weit das Auge reicht, reiht sich Zelt an Zelt, Hütte an Hütte. Es ist gewuchert, dieses Lager. Im Juli vergangenen Jahres lebten hier knapp 7000 Menschen. Heute sind es mehr als zehnmal so viele. Domiz ist zu einer Kleinstadt geworden, zum Bersten gefüllt mit Flüchtlingen aus Syrien.
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Die kurdische Regionalverwaltung tut was sie kann, um das Leben hier einigermaßen verträglich zu gestalten, es gibt Strom, eine Wasserversorgung. Die Vereinten Nationen helfen. Jeder Flüchtling bekommt 31 Dollar pro Monat. Nicht viel, die Lebensmittelpreise in der Region sind fast auf europäischem Niveau. Viele Männer arbeiten deshalb als Tagelöhner. Aber schon die Masse an Flüchtlingen wird zum Problem.
Allein im August kamen in wenigen Tagen Zehntausende über den Khabur, den Grenzfluss zwischen Syrien und dem Irak, weil islamistische Rebellen kurdische Städte und Dörfer attackierten. Diese Angriffe der Islamisten haben eine neue Front im syrischen Bürgerkrieg eröffnet. Die Flüchtlinge wurden von der Bevölkerung mit offenen Armen aufgenommen und unterstützt.
Noch bevor die Regionalregierung gemeinsam mit den Vereinten Nationen neue Lager hochziehen konnte, halfen die Bürger, brachten Lebensmittel und Kleidung in die Moscheen und Schulen, in denen die Flüchtlinge provisorisch untergebracht waren. Die Menschen kennen das Schicksal der Syrer aus eigener Erfahrung.
Nahezu jeder Kurde im Nordirak war selbst einmal Flüchtling. In den neunziger Jahren starben Zehntausende auf der Flucht vor den anrückenden Truppen des 2003 gestürzten irakischen Machthabers Saddam Hussein. In den vergangenen Jahren haben im Nordirak bereits viele Tausend Binnenflüchtlinge Zuflucht gefunden, insbesondere verfolgte Christen.
“Es war ein schreckliches Bild. Ich konnte ihn kaum wiedererkennen.“
„Der Winter wird schlimm“, sagt Zenab Mahmod, die Frau aus Afrin, und erzählt mit ausdruckslosem Gesicht ihre Geschichte: Ihr Mann Hannan war ein angesehener Geschäftsmann und Stammesführer. „In unserer Region kannte jeder den Namen unserer Familie.“ Im Juli vergangenen Jahres starben Hannan und Abdu, der älteste Sohn, bei einem Überfall von Regimeanhängern. Ein anderer Sohn, Nuri, ergab sich den Angreifern.
Zwei Tage später musste seine Mutter seine grauenhaft zugerichtete Leiche im Krankenhaus abholen. Seine Mörder hatten ihm seine Nase abgeschnitten, seine Augen ausgestochen, die Zähne ausgeschlagen und ihm die Arme und Hände gebrochen. „Es war ein schreckliches Bild. Ich konnte ihn kaum wiedererkennen.“
Das Haus der Familie wurde geplündert und ging in Flammen auf. Nach einer Odyssee landete sie mit den restlichen sieben Söhnen und Töchtern und anderen Familienmitgliedern im Januar in Domiz. „Wir haben alles verloren“, sagt sie. Und dennoch: „Wenn es wieder Frieden gibt in Syrien, wollen wir in unsere Heimat zurück.“
Noch aber tobt der Krieg in Syrien. Noch hält der Flüchtlingszustrom in den Irak an und bringt die Regionalverwaltung an ihre Kapazitätsgrenzen. 235 000 syrische Flüchtlinge leben derzeit insgesamt im Nordirak. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl wäre das so, als müsste Deutschland fünf Millionen Menschen aufnehmen. Anders als in Jordanien oder dem Libanon sind im Nordirak vergleichsweise wenige internationale Hilfsorganisationen engagiert, auch, weil die Zentralregierung in Bagdad sich nicht um ausländische Hilfe bemüht. „Wir sind bereit zu helfen. Wir brauchen aber vor allem für den Winter Unterstützung“, sagt der kurdische Regierungssprecher Safeen Dizayee. Im Sommer steigen die Temperaturen hier auf 50 Grad. Im Winter fallen sie unter den Gefrierpunkt.
„Es hat geregnet, es hat geschneit. Wir hatten nichts, um uns aufzuwärmen.“
Alle hier im Lager haben Angst vor den kommenden Monaten. Suhalla Jamil Haso macht sich vor allem um die Gesundheit ihres Sohnes Hassan Sorgen. Er ist sechs, ihr Jüngster. Suhalla lebt mit ihrem Mann Shalal Nawaf Mahmod und den insgesamt sechs Kindern seit Oktober vergangenen Jahres in Domiz. In zwei Zelten, jedes vielleicht zehn Quadratmeter groß. Die Familie stammt aus Damaskus, eine der Töchter ist bei einem Bombenangriff schwer verletzt worden, ihr Bein wurde zertrümmert. Jetzt braucht sie ständig ärztliche Versorgung, die Familie hat sich deswegen hoch verschuldet. „Der vergangene Winter war schlimm“, erzählt Suhalla. „Es hat geregnet, es hat geschneit, wir hatten zu wenig Decken, keine Heizgeräte, nichts, um uns aufzuwärmen.“ Die vielen Monate im Lager bedrücken die 40-Jährige. Vier Familien teilen sich ein Dixie-Klo und einen Wassertank.
Das beengte Leben im Lager schlägt aufs Gemüt. Henrike Zellmann hat jeden Tag mit Menschen zu tun, die unter psychischen Problemen leiden. Die 37-jährige Psychologin aus Würzburg ist seit August in Domiz und arbeitet hier für die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“. Ehrenamtlich, sie hat für den Einsatz Urlaub genommen. „Die Beschwerden werden heftiger und komplexer“, sagt sie. Die Menschen haben traumatische Erfahrungen im Krieg gemacht. Immer mehr wird aber auch das Lagerleben zum Problem. „Die Leute waren anfangs erleichtert, dass sie aus dem Krisengebiet herausgekommen sind. Je länger sie hier sind, desto auswegloser erscheint ihnen ihre Lage.“
Und auch die deutsche Psychologin hat registriert, wie groß die Angst vor dem nahenden Winter ist: „Die Kälte kennen die Menschen aus Syrien nicht.“