Berlin. Die Grünen sind wenige Tage vor der Bundestagswahl in einer Umfrage auf neun Prozent abgestürzt. Steuerpläne, Veggie Day, Pädophilie-Vorwürfe - niemand weiß genau, warum. Einige Wähler scheinen sich gereizt zu fühlen. Die Partei hofft dennoch auf ein ordentliches Resultat.

Neun Prozent - käme es am Sonntag in einer Woche so, wie das Institut Forsa es jetzt gemessen hat, wäre das für die Grünen absolut niederschmetternd. Sie geben sich betont gelassen: Ruhig sei die Stimmung am Morgen in der Parteizentrale gewesen, als die neuen Zahlen auf dem Tisch lagen, richtig überrascht sei man nicht gewesen, dass Manfred Güllners Institut sie im Fall sieht.

Es dauerte eine Weile, nachdem Mitte/Ende August die Zahlen heruntergingen, bis Ursachenanalyse von der Partei nach außen drang. Über Monate lagen die Grünen bei rund 13 Prozent, vorher auch teils deutlich drüber. In den letzten Wochen waren es 11, teils 10 Prozent.

Grüne sehen eigene Steuerpläne als mögliche Ursache

Die eigenen Steuerpläne seien wohl nicht optimal rübergebracht worden, heißt es nun in der Partei. Und: Wer vor allem einen Mindestlohn will, wählt wohl nicht die Grünen, die das vehement fordern - sondern gleich SPD oder Linke. Kritiker meinen auch, das Kernthema Ökologie kommt ausgerechnet im grünen Wahlkampf ziemlich technokratisch rüber - mit Zahlen rund um die Ökostrom-Umlage statt Visionen eines auch ökologischen Wohlstands in Zukunft.

Was ist da dran? Und wäre noch Zeit zum Umsteuern?

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Spitzenkandidat Jürgen Trittin steht Anfang der Woche vor einer Wand mit violettem Muster in einer Art Strandbar ohne Strand in Berlin, Prenzlauer Berg. Mit der linken Hand in der Tasche gibt er sich vor rund 150 Zuhörern lässig - und macht seine eingeübte Tour. Zu Syrien fordert er eine Antwort der Völkergemeinschaft. Zur CDU-Kanzlerin Angela Merkel kommt der Vorwurf, sie ziele auf niedrige Wahlbeteiligung. Energischer wird Trittin bei den Forderungen nach Schuldenbremse, Vermögensabgabe, Mindestlohn, Bürgerversicherung. Im schnellen Takt fährt seine Rechte auf und nieder.

Lieblingsthema Ökostrom-Umlage

Warnen die Grünen zuviel? Trittin verkneift sich nicht zu sagen, der nächste UN-Klimabericht werde ergeben, "dass die Meeresspiegel wahrscheinlich stärker ansteigen als gedacht". Dann kommt er zum Lieblingsthema Ökostrom-Umlage. Unter Schwarz-Gelb sei sie wegen der Ausnahmen zum Förderinstrument von Schlachthäusern und Kohlebergbau geworden. "Dann kommt der fleischgewordene Airbag der Energiewende, Peter Altmaier." Die Energiewende vor die Wand fahren wolle Schwarz-Gelb. "Ich finde, das sind ziemlich klare Alternativen."

Die Industrie kommt eher schlecht weg. Trittin hält Kurs, und es ist ein anderer Sound als in Zeiten, in denen Politiker der Ökopartei mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben wollten.

Haben sich die Grünen beim Veggie Day vergaloppiert, wollen sie die Leute bevormunden? Trittin dreht auf: "Dann haben die unser Programm noch nicht gelesen, da stehen noch ganz andere Verbote drinne." Die Unterstützung für einen vegetarischen Tag stellt er als Niedlichkeit dar angesichts massenweisen Gebrauchs von Antibiotika in der Fleischproduktion, des Bau von Großställen, der Subventionen für die Agrarindustrie. So etwas wollten die Grünen wirklich verbieten.

Die Grünen reizen viele

Bei den Grünen geben einige zu, dass da wohl verschiedene Sachen zusammengekommen sind. Mit schlechten Schlagzeilen zu Pädophilen früher bei den Grünen hat es angefangen. Sie haben dann einen Auftrag erteilt, das aufzuarbeiten. Viele scheinen auch die Beteuerung nicht recht zu glauben, dass 90 Prozent durch die grünen Steuerpläne entlastet werden.

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Vor allem aber: Ähnlich wie 2009 ist eine Machtperspektive der Grünen nicht in Sicht. Und: Die Grünen reizen viele. Lange waren es vor allem bestimmte Gruppen, die den Grünen moralisierende Besserwisserei vorwarfen. Etwa überzeugte FDP-Anhänger oder Zweifler am Klimawandel. Mittlerweile scheinen das mehr Menschen so zu sehen, schwant einigen in der Partei.

Dass das Ergebnis wirklich so bitter ausfällt, wie die neuste Umfrage nahelegt, hält man aber selbst bei jenen Grünen nicht für wahrscheinlich, die die Lage kritisch sehen. Aber auch wenn es ein neues Rekordergebnis mit nur 11 Prozent gäbe, wäre das nach dem langen Umfragehoch und den 10,7 Prozent von 2009 ein Debakel.

"Das Spiel dauert 90 Minuten"

"Das Spiel dauert 90 Minuten", sagt Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, "aber vor allem wird es keine Verlängerung für Schwarz-gelb geben." Tja, mal abwarten. Aber es könnte für die Grünen tatsächlich unabhängig vom eigenen Zutun positiv wirken, falls es Union und FDP nicht schaffen - war deren Abwahl doch zentrales Ziel.

Es könnte viele Enttäuschungen geben und weniger Parlamentssitze als lange gehofft - und trotzdem dürfte die nächste Grünen-Fraktion viele jüngere Gesichter haben. Das macht im Fall eines schlechten Ergebnisses wahrscheinlicher, dass die Zeiten bekannter Grüner der Generation von Jürgen Trittin, Renate Künast oder Claudia Roth an vorderer politischer Front nach der Wahl enden. Putschartige, schnelle Verwerfungen gelten aber als eher unwahrscheinlich. (dpa)