München. Nicht nur Angehörige und Journalisten verfolgen den NSU-Prozess von der Zuschauerempore aus – auch Touristen, Jurastudenten und selbsternannte Gerichtszeichner zieht das geschichtsträchtige Verfahren an. Ein paar – teils skurrile – Auszüge aus dem Alltag auf der Zuschauertribüne.

Die Zuschauerempore hängt direkt über den Reihen der Nebenkläger unten im Gerichtssaal. Aus den vorderen Reihen ergibt sich ein guter Überblick über den Raum, hinten an der Wand der lange, geschwungene Tisch der Richter, daneben die Bundesanwälte in ihren purpurfarbenen Roben. Etwas links sitzen die Angeklagten mit ihren Verteidigern. Zschäpe in der ersten Reihe, dicht bei den Richtern.

In den orangen Stühlen auf der Empore sitzen Journalisten, erkennbar an den Laptops auf den Knien, und Zuschauer, erkennbar daran, dass sie eben keinen Computer mit sich tragen. Einige Zuschauer haben dafür Bücher dabei: das Strafgesetzbuch, die Prozessordnung. Juristerei mit Paragrafenzeichen. Der Prozess zieht nicht nur Angehörige und Freunde der Ermordeten oder Geschädigten an. Auch Jurastudenten und Touristen sitzen auf der Zuschauerempore von Gerichtssaal 101A im Oberlandesgericht München.

Der Donnerstagvormittag war geprägt von Anträgen und Stellungnahmen, juristischem Hickhack, Kraftmeierei – ein Grenzenaustesten von allen Seiten. Von „Pat und Pattachon“ war die Rede, Nebenkläger warfen anderen Nebenklägern Unverschämtheit und Dreistigkeit vor. Nach nicht einmal zwei Stunden hat der Vorsitzende Richter schon die Mittagspause eingeläutet: Zur Beratung über die gestellten Anträge.

„Kindergartengeplänkel“, findet Eva-Maria Eitel-Vogel, die gerade aus Bremen zu Besuch bei ihren Kindern ist und an diesem Tag auf deren Drängen hin spontan beschlossen hat, sich den Prozess einmal anzusehen. Die Rumstreitereien erscheinen ihr der Sachlage nicht angemessen. Sie hätte erwartet, dass so ein Verfahren straffer vorangeht, sagt sie. Das Verhalten der Angeklagten Beate Zschäpe habe sie sehr befremdet. „Sie wirkt, als sei sie auf Drogen, macht einen völlig unbeteiligten Eindruck, als gehe es um eine andere Person. Ich hatte nicht das Gefühl, dass das alles hier in irgendeiner Form ihr Herz berührt.“

Zafer sitzt seit Dienstag jeden Tag in der ersten Reihe der Zuschauertribüne. Er habe zwar einen türkischen Migrationshintergrund, erzählt der junge Mann, aber deswegen sei er nicht hier. „Ich kenne keines der Opfer, bin nicht persönlich betroffen.“ Er wohnt in München, hat diese Woche frei und habe immer schon einmal ein Gerichtsverfahren sehen wollen. Dass es so schleppend vorangeht mit all den Anträgen und Stellungnahmen, hätte er nicht gedacht – „Dass da zwanzig Seiten lange Anträge der Anwälte tatsächlich in Gänze verlesen werden!“

Auch wenn es immer mal wieder Wortgefechte zwischen den beteiligten Parteien gegeben hat, findet er, dass es „recht gesittet“ zugeht im Gerichtssaal. Er hat sich ein bisschen gewundert, dass in den Medien so viel von Beate Zschäpes „piekfeiner Kleidung“ die Rede war (am Donnerstag übrigens: schwarzer Blazer, lila Bluse und ebensolches Haargummi): „Soll sie in Sträflingsklamotten aufkreuzen?“ Dass sie arrogant wirke, findet er nicht. Sie habe sich halt eine Strategie zurechtgelegt, eine Mauer aufgebaut. Zafer will versuchen, noch an möglichst vielen Prozesstagen teilzunehmen.

Nach der Pause sitzt neben uns ein Doktorand. Er erklärt einer Freundin was unten vor sich geht, warum immer neue Anträge gestellt werden, warum das alles eben keine sinnlose Zeitverschwendung ist. Es lege die Linien fest, an die sich alle in diesem Gerichtssaal für mehrere hundert Verhandlungen halten müssen. Vielleicht für Jahre. Er promoviere über Strafprozesse, äußert er sich vage. Seine Begleiterin reckt den Kopf, als Beate Zschäpe in den Saal geführt wird. Ein Zuschauer schlägt ihr vor, doch an die Brüstung der Empore vorzutreten um besser sehen zu können. Ihr Freund, der Jurist, verzieht das Gesicht. „Das wäre dann ja wie im Zoo. Das ist unwürdig.“

Eine Dame in der Reihe vor uns versucht sich als Gerichtszeichnerin. Sie sagt es nicht, aber offenbar macht sie das nicht beruflich. Vielleicht entsteht gerade ein neues Hobby. Die Strichmännchen-gleichen Illustrationen wirken nicht wie die Ergüsse eines Profis, das zerknüllte karierte Papier auf dem sie schreibt ebenfalls nicht. Ihre fahrige Art noch weniger. Als sie ihren Platz ergattert hat, war sie forsch. Nachdem ein Herr seinen Platz für einen Toilettengang in der Pause kurz freigegeben hatte, stürzte sie sich gleich drauf. „Der Herr Wachtmeister hat gesagt, hier darf nicht freigehalten werden.“

Auch der ältere Herr, der von sich erzählt, er sei Künstler, ist, wie die Tage zuvor, am Donnerstag wieder da. Das Verfahren an sich interessiere ihn nicht, sagt er, nur als Kulisse. Er sammelt Motive. Knöpfe im Ohr zum Beispiel. Und Schuhe. Das neueste Bild auf seiner Kamera zeigt die glänzenden High Heels von Justizsprecherin Andrea Titz. In der Pause haut er eine RTL-Journalistin an, ob sie sich an dem Wettbewerb um den schönsten Schuh beteiligen wolle.

Ein anderer älterer Herr mit Ziegenbart beschwert sich darüber, in der letzten Reihe sitzen zu müssen. Er könne nichts sehen. Dafür habe er schließlich angestanden, klagt er einem Justizbeamten. Der schaut desinteressiert gnadenlos und fordert den Ziegenbart mit höflichem Befehlston auf, sich zu setzen. Der Mann nimmt schließlich grummelnd auf der Bank in der letzten Reihe Platz.