München. Über das verbale Katz-und-Maus-Spiel zwischen der Verteidigung, dem Gericht und den Anwälten der Nebenkläger am dritten Verhandlungstag im NSU-Prozess.

Heute Vormittag habe ich zum ersten Mal nicht von draußen berichtet, sondern an der Verhandlung teilgenommen. Um wegen der viel monierten schlechten Sicht einen Platz möglichst weit vorn zu bekommen, stelle ich mich schon zwei Stunden vor Prozessbeginn in der Zuschauerschlange an. Vor mir, wie schon gestern, Maik E., der Zwillingsbruder des Angeklagten André E. in bekannter Montur: Sonnenbrille, schwarzer Kapuzenpulli, Lederweste. Er wirkt nervös, sieht sich ständig um – nur wenn er mal wieder gefilmt wird, setzt er seine Terminator-Miene auf.

Neben ihm ein schmächtiger Rothaariger mit „Pitbull“-Aufdruck auf dem Rücken: der Neonazi Daniel T., verurteilt wegen der Vorbereitung eines Sprengstoffdelikts bei einer Demo in Berlin. Er hat eine Verletzung am Ohr. Das Blut unter zwei großen Verbandspflastern am Hals und an der linken Schläfe wirkt noch frisch. Sieht aus, als hätte er einen Schlag abbekommen.

Die Schlange ist überschaubar, mit dem zweiten Schwung komme ich rein. Obwohl die Sicherheitskontrollen heute noch einmal verschärft worden sind, nachdem gestern ein Handy im Saal geklingelt hatte. Journalisten ohne festen Platz dürfen jetzt keine Computer oder Handys mehr mit hineinnehmen. Die Stimmung hinter der Schleuse ist heiter. Der Polizist will meine Tasche lieber einkassieren statt sie zu durchsuchen, „Damenhandtaschen dauern“, das hat er in den vergangenen Tagen gelernt.

Der Gerichtssaal ist noch kleiner als ich gedacht hatte, ein in hellgrau gehaltenes, fensterloses Achteck mit orangenen Sitzen und Holzfurnier. Links auf der Zuschauertribüne sind die akkreditierten Journalisten, die einen festen Platz haben, rechts die übrigen Gäste und die „Journalisten ohne“. Das ist hier schon ein feststehender Begriff.

Maik E. sitzt in der ersten Reihe und liest ein bisschen zu demonstrativ die heutige Abendzeitung, die ein großes Bild von ihm bringt – die Zeile: „Die widerliche Show der Nazi-Zwillinge“.

Fürs erste Aufsehen und die meisten Kommentare auf der Tribüne sorgt der Auftritt der Zschäpe-Verteidigerin Anja Sturm. Sie trägt ein grünes Kleid mit weißem Kragen, das vom Stil her an die Nachmittagskleider amerikanischer Ehefrauen in den 60er Jahren erinnert. Vor allem aber ist es auffällig. Ein Statement – vor allem in Kombination mit ihren sehr hohen, weiß-grünen High Heels. Die Jura-Studentin neben mir überlegt, ob das noch Business-Mode ist. Und die Fotografen unten freuen sich über den farblichen Kontrast zu der knallrotgefärbten Verteidigerin von Ralf Wohlleben, die auf der Bank gleich hinter Anja Sturm sitzt. Während die anderen Anwälte, auch die der Nebenkläger, sich per Handschlag begrüßen oder untereinander ein paar Worte wechseln, wird Nicole Schneiders, die Wohlleben aus der gemeinsamen Zeit bei der NPD in Jena kennt, von allen geschnitten.

Zehn Minuten nach dem angesetzten Beginn kommen die Angeklagten. Beate Zschäpe sieht heute noch ein bisschen unauffälliger aus als gestern, ganz in schwarz, mit V-Ausschnitt-Pullover und gelbem Blusenkragen. Die Haare trägt sie offen. Sie wirkt angespannt – kein Vergleich mit den Schäker-Bildern vom ersten Prozesstag. Während sie den Fotografen den Rücken zudreht, nestelt sie an ihrer Brille herum, sieht angestrengt auf die graue Wand vor ihr. Ralf Wohlleben, der nur einen halben Meter vor ihr sitzt, würdigt sie keines Blickes. Ein mit Mühe aufrecht erhaltenes Pokerface. Als es beginnt, reichen ihr die Anwälte ihren Computer in einer großen H&M-Tüte.

Nachdem die gestern eingereichte Besetzungsrüge gegen das Gericht abgewiesen wurde, holt Schneiders zu einer 45 Minuten währenden Verlesung ihres ersten Antrags aus. Das Verfahren solle ausgesetzt werden, weil ihrem Mandanten nicht alle Akten vorlägen. Später fordert sie dann sogar die Einstellung des Verfahrens: wegen der „medialen Vorverurteilung“ Ralf Wohllebens. Ein fairer, unabhängiger Prozess sei dem Gericht nicht mehr möglich. Darin sieht sie ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“. Bitteres leises Lachen auf den Zuschauerplätzen.

Nachdem der Nebenklage-Anwalt Thomas Bliwier ihre Ausführungen als allgemeine Statements, heiße Luft und Stimmungsmache kritisiert hat, geht es heiß her im Gerichtssaal. Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer, der sich mit dem Vorsitzenden Richter Götzl bereits am Vortag ein Wortgefecht um den vermeintlichen Katzentisch der Verteidiger geliefert hatte, ergreift das Wort – und bemängelt, dass er das Wort nicht hat. Leises Gelächter im Raum. Darauf Heer: „Herr Vorsitzender, es geht nicht an, dass ich etwas sage und es wird gelacht.“ Wieder Lacher, ein bisschen lauter. Als Heer einwirft, jetzt werde „erneut gelacht“, wird die Szene zum Selbstläufer.

Dann springt noch Heers Verteidigerkollege Wolfgang Stahl auf, der rechts von Beate Zschäpe sitzt. Er beantragt, die Verhandlung sofort zu unterbrechen. Das gehe ja wohl nicht an, dass hier gelacht werde. „Vielleicht wäre es gut, die Verhandlung für 15 Minuten zu unterbrechen, bis sich alle beruhigt haben.“ Richter Götzl findet, dass alle beruhigt sind. Stahl legt seine Robe ab und verlässt den Saal. Kein Kommentar von der Richterbank. Der Richter sagt, er könne nicht nachvollziehen, woher die Aufregung kommt. Er solle den Saal zur Sachlichkeit ermahnen, fordert Heer. Götzl ermahnt. Bundesanwalt Diemers findet das Verhalten von Rechtsanwalt Heer „unwürdig“. Nach fünf Minuten kommt Wolfgang Stahl wieder rein, zieht seine Robe an und setzt sich hin. Zehn Minuten später unterbricht der Vorsitzende Richter das Verfahren bis nach der Mittagspause.