Berlin. Wer soll Präsident der USA werden? Darüber reden sich die Amerikaner zurzeit die Köpfe heiß und das zunehmend online. So wurden die bislang drei TV-Debatten allein im sozialen Netzwerk Twitter 20 Millionen Mal kommentiert. Und vor allem Amtsinhaber Barack Obama weißt das zu nutzen.
Im US-Wahlkampf wird soviel "gezwitschert" wie nie zuvor: Kein Schritt oder Kommentar von Amtsinhaber Barack Obama und seinem Herausforderer Mitt Romney, der nicht umgehend über Twitter aufgegriffen, parodiert und heiß diskutiert würde. Noch bei der vergangenen Wahl sei die Lage völlig anders gewesen, sagt Adam Sharp, Twitter-Manager für Politik und Nachrichten.
Das wird laut Sharp vor allem bei den jüngsten TV-Debatten deutlich: Hätten es die vier Redeschlachten von 2008 auf gerade einmal 500.000 Tweets gebracht, seien im laufenden Wahlkampf nach bislang drei Debatten bereits mehr als 20 Millionen gezählt worden. "Wir haben in diesem Zeitraum eine Explosion der Nutzerzahlen erlebt", sagt Sharp.
Obama hat bei Twitter bereits 18 Millionen "Follower"
Anders als SMS-Nachrichten läuft die Kommunikation bei Twitter zumeist öffentlich ab. Jeder Internetnutzer kann sich ein kostenloses Konto anlegen, Kurznachrichten mit maximal 140 Zeichen zusammenstellen und dann "lostwittern". Ist man an Nachrichten bestimmter Nutzer interessiert, kann man sie abonnieren und wird damit zum sogenannten Follower. Beim Einheimsen solcher Anhänger hat es Präsident Obama zu einer wahren Meisterschaft gebracht: Über 18 Millionen Menschen verfolgen seine Twitter-Aktivitäten, sein republikanischer Herausforderer Mitt Romney kommt auf rund 1,5 Millionen.
Die wachsende Beliebtheit von Twitter stellt aus Sicht von Sharp eine Rückkehr zum Straßenwahlkampf früherer Jahre dar. "Danach ist es immer noch der beste Weg, gewählt zu werden, wenn ein Politiker einen Wähler persönlich fragt: 'Kann ich Ihre Stimme haben?'", erklärt er. Aber in den USA mit 300 Millionen Einwohnern sei das nur schwer umsetzbar. Soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook machen die direkte Kommunikation mit Politikern wieder möglich.
Wähler diskutieren während der TV-Debatten im Internet
Anstatt die Fernsehdebatten der Präsidentschaftskandidaten mit Familie oder Freunden auf der heimischen Couch zu diskutieren, tauschen Menschen sich jetzt parallel im Internet mit anderen Nutzern aus. Sharp sieht Twitter als diese globale Couch: Hier könne man noch während der Debatten mit anderen Menschen im ganzen Land diskutieren.
Darüber hinaus habe Twitter den Ablauf im sogenannten "Spin Room" auf den Kopf gestellt. Nach jeder Politdebatte ist das der Ort, in dem die Kontrahenten den Eindruck aus der Redeschlacht zu ihren Gunsten zu drehen (Englisch "to spin") versuchen. Früher erstreckte sich dieses Gerangel um die Interpretation der Ereignisse über mehrere Tage. Diese Zeit sei inzwischen auf wenige Stunden oder Minuten geschrumpft. Das zwingt die Wahlkämpfer, schneller auf Angriffe zu reagieren.
"Man denke nur einmal an die Stuhl-Rede von Clint Eastwood beim Parteitag der Republikaner", führt Sharp an. Damals hatte Eastwood sich auf der Bühne mit einem leeren Stuhl unterhalten und so getan, als säße dort Präsident Obama. Bevor Romney nach seiner darauf folgenden eigenen Rede die Bühne verlassen habe, reagierte Obamas Wahlkampfteam bereits auf Twitter. Sie schickten ein Foto aus dem Weißen Haus mit dem Spruch: "Dieser Stuhl ist besetzt."
Twitter hofft auf Durchbruch in Deutschland zur Bundestagswahl
Auch in Deutschland hält Twitter zunehmen Einzug in die Politik. Als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sich im Bundestag einen Schlagabtausch lieferten, schickten mehrere Abgeordnete Kommentare ins Netz. "Steinbrück redet jetzt schon sehr lange. Aber was will er eigentlich? Und wer versteht ihn?" stichelte Umweltminister Peter Altmaier (CDU). Noch sind die Nutzerzahlen jedoch winzig. Grade einmal vier Prozent der deutschen Internetnutzer sind auf Twitter aktiv. Zum Vergleich: In den USA sind es 15 Prozent.
"Großereignisse wie die Olympischen Spiele, große Unterhaltungsshows oder eben Wahlen machen Menschen auf Twitter aufmerksam", sagt Sharp. Dann schnelle die Zahl der Anmeldungen in die Höhe. "Ich gehe davon aus, dass wir das auch in Deutschland beobachten werden."
Dazu muss Twitter weitere Politiker vom Nutzen des Dienstes überzeugen - allen voran die Spitzenkandidaten. Angela Merkel überlässt das Verschicken von Twitternachrichten bisher ihrem Sprecher. Auch Steinbrück ist nicht vertreten. Der deutsche Twitter-Sprecher Dirk Hensen ist dennoch zuversichtlich. "Es ist der richtige Moment dafür", sagte er. "Ich denke, dass sie alle schlussendlich bei Twitter sein werden." (dapd)