Frankfurt/Main. . Die Rock-Pop-Bilanz 2011 wartet mit einigen Überraschungen auf – fast alles geht und deutsche Künstler mischen vorne mit. Helene Fischer und Andrea Berg lassen den Schlager leben, Tim Bendzko überrascht als deutschsprachiger Newcomer des Jahres. Die große Gewinnerin aber ist die 23-jährige Adele.

Es gab eine dominierende Stimme 2011, und die gehörte nicht Lady Gaga. Während die schrille Dame aus New York ihren globalen Superstarstatus mit "Born This Way" zementierte, sang sich die 23-jährige Adele mit ihrem unglaublich intensiven Mix aus Blues, Soul und Jazz 38 Wochen lang in den Top 5 der deutschen Verkaufscharts fest. Die waren ansonsten in fester Hand deutscher Acts - wobei sich Udo Lindenberg einmal mehr als "Comebacker des Jahres" inszenierte und in der Gesamtabrechnung hinter Adele, aber vor Herbert Grönemeyer durchs Ziel ging.

Es sind nicht mehr nur die alten und seit Ewigkeiten etablierten Acts, die das Chart-Geschehen prägen. Bruno Mars, Unheilig, DSDS-Gewinner Pietro Lombardi, Lena und Rosenstolz räumten ebenso ab. Newcomer wie Tim Bendzko und Clueso überraschten. Dazu kommt ein Strauß bunter Stilvielfalt von Samy Deluxe, Bushido, Kool Savas bis Schandmaul und In Extremo, ein anhaltendes Schlager-Revival um Helene Fischer, Andrea Berg und Amigos - der seit der Jahrtausendwende zu beobachtende Trend, das fast alles in die Top 5 gehen kann, hat sich in diesem Jahr weiter verfestigt. Das ergibt die jährliche Auswertung aus den ersten fünf Plätzen der deutschen Longplay-Charts, wie sie auf Musicline.de wöchentlich veröffentlicht werden.

Deutsches Publikum unbeeindruckt vom Medienhype

Das deutsche Publikum will offenbar Präsenz - am liebsten live - und lässt sich anscheinend weniger von Medienhype beeinflussen. Auf Lady Gagas "Born This Way" war bisher nur dieser eine Hit - und der trägt keine wochenlange Präsenz in den Verkaufs-Charts. Bei Adele dagegen festigte sich mit jedem Hit von "Rolling In The Deep" über "Fire To The Rain" bis "Someone Like You" auch das Album "21" in den Top 5. Ähnlich erklärbar auch der Erfolg von Bruno Mars, dessen "Doo-Wops & Hooligans" sich zehn Wochen auf Gipfelplätzen behauptete - wohl nicht zuletzt dank der enormen Radiopräsenz von "Grenade" und "Just The Way You Are". Im - noch - etwas kleineren Maßstab funktionierte das auch für Tim Bendzko, dessen "Wenn Worte meine Sprache wären" und das zeitgeistige "Nur noch kurz die Welt retten" ihn zum deutschsprachigen Newcomer des Jahres werden ließen, der allmählich größere Hallen buchen kann.

Aber es geht auch ohne Hits – auch ein guter Name und eine loyale Fanbasis spülen Acts in allerdings insgesamt umsatzschwachen Zeiten in die Top 5, die vor zehn, zwanzig dort keine Chance gehabt hätten: Schandmaul, In Extremo, Social Distortion, Rise Against, und auch ein Comedian wie Paul Kalkbrenner hatten ihren Auftritt in den ersten fünf Listenplätzen. Kommt noch ein Legendenstatus wie bei den Red Hot Chili Peppers hinzu, reicht es für ein insgesamt hinter dem Vorgängerwerk "Stadium Arcadium" zurückbleibendes "I'm With You" immer noch für eine Nummer eins. Limp Bizkit reichten ein paar Festival-Auftritte, um "Gold Cobra" für zwei Wochen auf Platz eins zu katapultieren.

Auch R.E.M. schafften es mit "Collapse Into Now" im Frühjahr auf den Spitzenplatz, bevor sie sich im September nach 31 Jahren auflösten. Mit Amy Winehouse verlor die Popmusikwelt eine große Stimme, das Album "Back To Black" der im Juli im Alter von 27 Jahren verstorbenen Soulsängerin wurde nach ihrem Tod noch einmal eine Nummer eins. Es war damit erfolgreicher als die Nachlassverwertung "Lioness: Hidden Treasures", die es aber auch in die Top 5 schaffte.

Viel Umsatz und weniger Punkte für Coldplay

Das insgesamt weiter abnehmende Absatzvolumen in der Musikindustrie schafft eine breite Streuung, aber auch trügerische Charts: Coldplay legten mit "Mylo Xyloto" eines der umsatzstärksten Alben des Jahres vor, allerdings ging ihre große Fanbasis wohl gleich in der Veröffentlichungswoche einkaufen. Coldplay hätten in Deutschland, so verlautete aus Kreisen der Musikindustrie, in einer Woche so viel Alben verkauft wie die restlichen Top Ten zusammen. Für die britische Band bedeutet das weniger Punkte in den Jahrescharts, aber wohl keinesfalls geringere Einnahmen. Und Peter Maffay wurde mit "Tabaluga und die Zeichen der Zeit" von Lindenberg abgehängt, buchte aber für die Tournee im kommenden Jahr bereits etliche Arenen wegen der großen Ticketnachfrage dazu.

In den Top Ten der Jahresabrechnung sind genauso viele deutsche wie internationale Künstler: Adele an der Spitze vor Lindenberg, Grönemeyer, Unheilig und DSDS-Gewinner Pietro Lombardi. Auf Platz sechs dann Mars vor Lena, Lady Gaga, Amy Winehouse und den Red Hot Chili Peppers.

Lindenbergs Erfolg mit "MTV Live Unplugged aus dem Hotel Atlantic" ist mit dem warmen Sound des Akustikalbums und dem Tribut zahlreicher Gäste von Jan Delay über Stefan Raab bis Clueso zu erklären, die den bekannten Liedern neues Leben einhauchten. Das Live-Album bringt das musikalische Vermächtnis des deutschen Rockpioniers wie keine Zusammenstellung davor auf den Punkt. (dapd)

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