Los Angeles. Er war nie mit sich im Einklang: Michael Jackson hat in seinem Leben unglaubliche Höhen erlebt und ist abgestürzt. Er war der King of Pop und stand unter Pädophilie-Verdacht. Sein Privatleben war so bizarr wie seine äußere Veränderung. Sein Tod löst dennoch Bestürzung aus.

An Michael, dem fünften ihrer neun Kinder, beobachtete Katherine Jackson schon in den ersten drei Lebensjahren eine besondere Auffälligkeit. Wenn die Verkäuferin abends heimkam und Folksongs für die Kinder spielte, begann er zu tanzen: "Aber er machte dabei keine unkoordinierten Bewegungen wie andere Kinder in dem Alter. Es war, als wenn ein älterer Mensch in seinem Körper steckte und tanzte.“ Der Sänger Smokey Robinson, der Jackson schon kennenlernte, als er fünf war, staunte ähnlich über Talent und Frühreife: "Er war unglaublich begabt, aber da steckte irgendwie eine alte Seele im Körper eines kleinen Kindes.“

Körper und Seele nie im Einklang

Michael Jackson. (c) AP
Michael Jackson. (c) AP © AP

Körper und Seele, die sich im Leben Michael Jacksons nie im harmonischen Einklang befanden, die immer miteinander rangen um Alter und Schönheit, Kindlichkeit und Reife, Geschlecht und Identität, haben sich am Donnerstag endgültig getrennt. Der wohl berühmteste Sänger der Welt starb in Los Angeles. Er wurde 50 Jahre alt. Die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich kurz nachdem der Star am frühen Nachmittag von seinem gemieteten Haus im Nobelstadtteil Bel Air (100000 Dollar Monatsmiete) mit einem Krankenwagen zum Ronald-Reagan-Uniklinikum gefahren worden war. Fans und Paparazzi verfolgten den Krankenwagen, wenig später kämpften Ärzte verzweifelt um sein Leben.

Die Details der Abläufe sind so unklar wie die Todesursache. Hat Michael Jackson, wie es in ersten Meldungen hieß, einen plötzlichen Herzstillstand erlitten und ist noch zuhause gestorben? Ist ihm sein extremes Untergewicht zum Verhängnis geworden oder waren doch Medikamente und Drogen im Spiel? An Gerüchten ist kein Mangel. Auch deshalb wird der Leichnam obduziert.

Als er mit einem Hubschrauber zur Gerichtsmedizin geflogen wurde, verfolgten Kamerateams in anderen Helikoptern noch den toten Michael Jackson mit derselben Verbissenheit, mit der sie ihm zu Lebzeiten auf den Fersen waren.

Nachdenken über die Bedeutung

Während die Paparazzi zur letzten Jagd bliesen und sich Fans überall in den USA zu ersten Mahnwachen zusammenfanden, begann das Nachdenken über diese Nachricht: Michael Jackson ist tot. Was bedeutet das eigentlich? Ist das mehr als eine spektakuläre Promimeldung? Ist das ein Epocheneinschnitt wie der Tod Kennedys? Ist es ein globales Trauererlebnis wie der Tod von Prinzessin Diana? Oder doch nur das tragische, nicht einmal überraschende Ende eines Menschen, der mit Ruhm und Rausch nicht mehr fertig wurde, wie die Monroe, wie Elvis? Das sind die Fragen, die Amerika jetzt beschäftigen. An der Kaffeemaschine im Büro und am Küchentisch daheim, in der Regierung und in den Redaktionen wurde gestern diskutiert. Einigkeit herrscht dabei nur über die musikalische Ausnahmestellung von Jackson.

Der Jüngste als Antreiber

Der in Gary (Indiana) im Schwarzen-Getto geborene Sänger trat schon als Fünfjähriger mit seinen Brüdern zusammen auf. Die ‚Jackson 5“, in denen er der Jüngste, aber gleichwohl der Vorsänger und Antreiber war, wurden für ihn zum Sprungbrett einer beispiellosen Weltkarriere. 1969, als 11-jähriger, landete Michael Jackson den ersten großen Hit: ‚I want you back.“ Die Verkaufszahlen stiegen mit jeder neuen Platte, die er bald als Solo-Künstler herausbrachte. Von ‚Off the wall“ wurden 1979 schon sieben Millionen verkauft. Dann kam ‚Thriller“ (1982), das bis heute erfolgreichste Album aller Zeiten. Michael Jackson war 23 und ein Weltstar, der globale Musiktrends definierte wie kein anderer seit Elvis und den Beatles. Zeit seines Lebens, wurde gestern geschätzt, sind etwa 750 Millionen Platten und CDs von Michael Jackson verkauft worden. Dabei verband sich die Musik stark mit einem neuen Performancestil und dem durch Jackson erst etablierten neuen Mediums des Musikvideos. Seine Auftritte waren choreographisch so eigenwillig und so perfekt inszeniert, dass sein Stil weltweit Nachahmer fand. ‚Er hatte den Rhythmus der schwarzen Getto-Tänzer und die Eleganz eines Fred Astaire“, schwärmte gestern noch einmal der Kritiker der Los Angeles Times. ‚Moonwalk“ hieß sein eigener Tanzstil, mit dem er wie schwerelos über die Bühne gleitete und seine Fans in einen Begeisterungsrausch versetzte.

Totaler Verfall der Karriere

Doch das alles ist über 20 Jahre her. Der 50-jährige, der sich in den letzten Wochen auf ein Comeback mit 50 Konzerten in London in diesem Sommer vorbereitete, erlebte nach dem kometenhaften Aufstieg einen totalen Verfall seiner Karriere und seines öffentlichen Ansehens. Sogar das gigantische Vermögen, das er mit seiner Musik verdient hat, soll er durchgebraxcht haben, hieß es gestern. Gerüchteweise ist von 400 Millionen Dollar Schulden die Rede. Als die angesehensten Kritiker für Popmusik in den USA im Jahr 2001 nach den besten Künstlern der Branche gefragt wurden, erschien der Name Michael Jackson nicht einmal mehr unter den ersten 20. Und als er 2003 seinen 45. Geburtstag in Downtown LA feierte, blieben die Sitze für die Ehrengäste leer. Die Stars mieden Jackson. Trotzig feierte der Star statt dessen mit Fans, die sich wie ihr Idol verkleidet und geschminkt hatten.

Doch die Michael-Jackson-Doubles, die kamen, sahen aus wie der Michael Jackson zu Moonwalk-Zeiten. Tatsächlich hatte sich ihr Held bis dahin längst auf bizarre Weise verändert. Schönheitsoperationen, vor allem an Nase und Kinn, aber auch die extreme Aufhellung der Haut bis zur Blässe und dazu das starke Untergewicht hatten aus Jackson ein gespenstisches Kunstgeschöpf gemacht. Sein Vater, erzählte er einmal zur Erklärung der Nasen-OPs, habe ihn wegen seiner platten Nase gehänselt. Für die neue Nase wurde er später von den amerikanischen Komödianten verspottet.

Bizarres Privatleben

Trauernde Fans. (c) AP
Trauernde Fans. (c) AP © AP

Doch viel mehr als das immer kuriosere Aussehen schadeten ihm Gerüchte über sein Privatleben. Schon 1993 musste er zum ersten Mal 20 Millionen Dollar an eine Familie zahlen, deren Sohn er sexuell missbraucht haben sollte. Die Familie verzichtete auf eine Anklage, die Medien sprachen von ‚Schweigegeld“. 2005 kam es zu einem öffentlichen Strafprozess in Kalifornien, bei dem ihm wieder vorgeworfen wurde, einen Jungen missbraucht zu haben. Am Ende wurde Jackson freigesprochen, doch das Verfahren enthüllte die Abgründe eines exotischen und versponnenen Lebens in einem goldenen Käfig.

Auf seiner ‚Neverland“-Ranch lebte Jackson das Leben seines Helden Peter Pan nach, er ließ einen Zoo bauen und einen Vergnügungspark, er schlief nach eigenen Angaben am liebsten mit kleinen Jungen in einem Bett, nicht für Sex, sondern "aus Liebe“, und hatte die Pornohefte auf dem Nachtisch liegen. Der ‚Jahrhundertprozess“ wurde es nicht. Die Einschaltquoten waren schwach, für Michael Jackson interessierte man sich schon nicht mehr mit der alten Leidenschaft. Entzaubert und erniedrigt zog sich Michael Jackson immer mehr zurück. Er war einst den Zeugen Jehovas beigetreten und suchte bis zuletzt nach menschlicher und spiritueller Orientierung.

Er durfte nie ein Kind sein

Der Märchenprinz der modernen Musikwelt verbrachte den größten Teil der letzten Jahre als Gast des Scheichs von Bahrein, doch auch das Verhältnis zum Scheich endete vor Gericht, weil Jackson ihm Geld schulden sollte. Aus den letzten Wochen und Tagen in Los Angeles ist wenig bekannt. Es heißt, Jackson habe bis zur Erschöpfung trainiert, um für die Auftritte in London fit zu sein. Vom musikalischen Erbe abgesehen und jenseits der unübersichtlichen Mischung aus Werten und Schulden hinterlässt Michael Jackson drei Kinder, zwei davon stammen aus einer kurzen Ehe mit seiner Krankenschwester, die Mutter des dritten Kindes ist unbekannt. Auch die Ehe mit der Tochter von Elvis Presley, Lisa, endete schnell und kinderlos. Die Wirren seines Lebens erklärte Michael Jackson einmal damit, dass der tyrannische Vater ihm seine Kindheit geraubt habe: "Ich durfte nie Kind sein, ich musste gleich erwachsen sein. Vielleicht will ich deshalb in meinem Leben ein Stück Kindheit nachholen.“