Brüssel. .

Für die EU war 2010 ein Jahr der Krise. Nicht alle Länder und deren Spitzenvertreter machten gute Figur, manche eher sich selbst zum Narren. Wir erinnern an Höhepunkte in der europäischen Chefetage.

Der Ersatz-Obama. Im September erlebte das Europa-Parlament eine Premiere. Kommissionschef José Manuel Barroso hielt dort seine erste “Rede zur Lage der Union”, nach dem Vorbild der US-Präsidenten, die im Januar vor dem Kongress in Washington sprechen. Weil aber Straßburg nicht Washington und Barroso nicht Obama ist, drohten die EP-Oberen, mittels eines Bußgelds für Abwesende anständige Präsenz herzustellen. Das gab Ärger, war aber eine prima Idee. Am Ende wurde auf die Strafmandate verzichtet, das Hohe Haus war trotzdem passabel gefüllt. 2011 kommt der Härtetest: Welche MEP-Quote schafft Barroso ohne die Androhung von Zwangsgeld? (krp)

Der Bunga-Bunga-Mann. Italiens Premier Silvio Berlusconi (74) sorgt für Schlagzeilen – allerdings weniger mit seiner Politik. Seine Spezialität ist das Pikante, gern mit (zu) jungen Frauen. Die macht er zu Ministerinnen, lässt sich von ihnen „Papi“ nennen und scheint Escort-Damen nicht zu scheuen. Berlusconi boxte zudem Ruby (17) mit Lügen aus Polizei-Händen. Sie berichtet von Erotikpartys - „Bunga-Bunga“, angeblich ein Ritus aus dem Harem von Libyens Staatschef Gaddafi. Sexskandal statt Politik: Armes Italien. (sbi)

Das Pulverfässchen. Mit Nicolas Sarkozy ist nicht zu spaßen. Bei missliebigen Fragen wird der Gesichtsakrobat mit den extra hohen Absätzen zum Wadenbeißer. So beim Lissabonner Nato-Gipfel im November. Nach seiner möglichen Verwicklung in eine Staatsaffäre befragt, schoss Sarkozy scharf zurück: „Ich bin fest davon überzeugt, dass Sie ein Pädophiler sind“, warf er einem Journalisten an den Kopf. Nicht, dass Monsieur le Président das wirklich geglaubt hätte. Die Kinderschänder-Attacke sollte als Beispiel für einen haltlosen Vorwurf dienen. Der eigene Einfall gefiel dem cholerischen Nick so gut, dass er sich am Ende der Pressekonferenz mit den Worten verabschiedete: „Pädophile Freunde, bis morgen!“ (hrz).

Die Unsichtbare. Endlich hat die EU, was Henry Kissinger immer forderte: eine einheitliche Telefonnummer. Es meldet sich die Dienststelle der Hohen Vertreterin der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Baroness Ashton . Inoffiziell die „EU-Außenministerin“ genannt. Und dann kommt eine Telefonansage: „Für die Position Deutschlands drücken Sie die Eins, für die Position Frankreichs die Zwei, für Großbritannien die Drei …usw.“ Das ist zwar nur Spott aus Washington, trifft aber die Sache: Eine gemeinsame EU-Außenpolitik ist so wenig präsent wie eh und je. (krp)

Der Träumer. Beim letzten Mal in Brüssel war der Bundesfinanzminister noch verkniffen und angestrengt. Doch bei einer Pressekonferenz am 7. Dezember ist Wolfgang Schäuble (CDU) lebhaft, voll da. Er bricht aus Kanzlerin Merkels engen Käfig des Tagesgeschäfts aus, wird zum Visionär eines auch politisch geeinten, über Krisen erhabenen Europas. Er träumt von neuen Wegen, die das neuartige Gebilde der Europäischen Union mutig gehen sollte. Das ist mitreißend im sonst wenig traumhaften Eurokrisen-Alltag. (sbi)

Fiel bei der Wahl als EU-Kommissarin durch: Die bulgarische Außenministerin Rumiana Jeleva. (Foto: rtr)
Fiel bei der Wahl als EU-Kommissarin durch: Die bulgarische Außenministerin Rumiana Jeleva. (Foto: rtr) © REUTERS

Der Blondinenwitz. Wer Georgien als „Nahost-Land“ bezeichnet und nicht weiß, warum der Golf von Aden ein Krisengebiet ist, sollte weder als Außenministerin tätig noch Mitglied der EU-Kommission sein. Bulgarien scheint das anders zu sehen. Das Land wollte Außenministerin Rumiana Jeleva (40) in die EU-Behörde hieven. Beim EU-Parlament fiel sie aber wegen ihres mangelnden Wissens mit Pauken und Trompeten durch. Kein Wunder. Zumal Jeleva allen Ernstes angab, internationale Erfahrung als Campingplatz-Rezeptionistin gesammelt zu haben. (vz)

Der Hindukusch-Verteidiger. Der rumänische Präsident Traian Basescu hat eine Schwäche für Hochprozentiges. In seinem Heimatland gereicht ihm das nicht unbedingt zum Schaden: Wer das Weinglas richtig zu halten weiß, der hat in Rumänien gute Chancen, als ganzer Mann durchzugehen. Basescu geht durch. 2010 verlief dennoch alles andere als geschmeidig. Anfang des Jahres reiste Basescu nach Moldawien, um dort ein rumänisches Konsulat zu eröffnen. Vor Antritt der Reise verkündete er, nüchtern oder auch nicht, es gehe nach Kabul. Ja, wird denn auch Rumänien am Hindukusch verteidigt? (dan)

Die Lautsprecherin. Viviane Reding ist die lauteste Tröte, die die häufig als blass verunglimpfte Brüsseler EU-Kommission zu bieten hat. Die EU-Kommissarin „für Gerechtigkeit, Grundrechte und Bürgerschaft“ trägt die Volksnähe im Titel und gern auch auf der Zunge. Was dazu verleitet, mit Stellungnahmen weit abseits des eigentlichen Fachgebiets in die Presse zu drängen. Vor dem EU-Gipfel Ende Oktober warnte Reding vor einer Änderung des EU-Vertrags, die einen Pleite-Schutz in der Euro-Zone ermöglichen soll: Eine „Büchse der Pandora, unverantwortlich“, schimpfte Reding. Zuständig wäre die Luxemburgerin hingegen in Sachen bedrohte Pressefreiheit in Ungarn. Dazu hört man von ihr nichts. (hrz)