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Die internationalen Reaktionen auf die WikiLeaks-Veröffentlichung von Botschaftsberichten: Von wohlkalkulierter Empörung bis zu betonter Gleichgültigkeit

Diplomatie ist jener Schnittbereich der Politik, in dem die Interessen von Staaten und persönliche Beziehungen ineinander übergehen. Sind die Beziehungen zwischen Diplomaten und Politikern zweier Länder gestört, kann das die Durchsetzung staatlicher Interessen betreffen. Deswegen zählen Vertraulichkeit und Höflichkeit zu den Grundregeln der Diplomatie. Umso peinlicher ist für die US-Diplomatie die Veröffentlichung tausender interner Botschaftsberichte auf der Internet-Plattform Wikileaks, die weltweit das Vertrauen in die Außenpolitik der USA ankratzen könnten.

Die Veröffentlichung der Viertelmillion Botschaftsberichte, in denen die US-Vertretungen im Ausland ihre Einschätzungen an die Zentrale in Washington schickten, entreißt der Diplomatie den schützenden Schleier. Die internationalen Reaktionen sagen also auch etwas darüber aus, wie es - abseits aller diplomatischen Höflichkeiten - wirklich um die internationalen Beziehungen steht.

DEUTSCHLAND sieht die Veröffentlichung der Dokumente mit großer Sorge, fürchtet aber keine Beeinträchtigung der Beziehungen zu den USA. Die Enthüllungen zu bestimmten Weltregionen könnten „zu politischen Verwerfungen führen, die wichtige politische Prozesse stören“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Das deutsch-amerikanische Verhältnis sei hingegen eine gewachsene Freundschaft, die durch solche Veröffentlichungen nicht ernsthaft beschädigt werde. Die Aussagen über deutsche Politiker seien indes „nicht sehr interessant“.

Was ist Wikileaks?

Enthüllen und aufklären – das wollen die Erfinder von WikiLeaks. Auf ihrer Homepage werden geheime Dokumente veröffentlicht, die Skandale aufdecken: über die Kundus-Affäre, über Scientology - und aktuell Zehntausende US-Berichte.

Auf der Internet-Plattform WikiLeaks kann jeder anonym Dokumente veröffentlichen, wenn sie im öffentlichen Interesse stehen. So wurden auf der Plattform bereits Unterlagen, die Steuertricks der Schweizer Privatbank Julius Bär offenbaren, Handlungsanweisungen für das US-Gefangenenlager Guantanamo und geheimes Scientology-Material oder die Mitgliederliste der rechten British National Party veröffentlicht. Auf WikiLeaks wurden auch große Teile der Kundusakte sowie ein Video öffentlich gemacht, das zeigte, wie US-Soldaten in Bagdad unbewaffnete Zivilisten erschießen.

Dabei prüft Wikileaks nach eigenen Angaben jedes Dokument auf seine Echtheit. Das Restrisiko, auf eine Fälschung hereinzufallen, liege bei höchstens einem Prozent. Um die Informationen öffentlich zu machen, wurde ein System „für die massenweise und nicht auf den Absender zurückzuführende Veröffentlichung von geheimen Informationen und Analysen“ geschaffen, wird auf der Homepage behauptet. Serverkosten, Registrierungs-Gebühren, Bankgebühren und Bürokratie-Kosten werden durch Spenden von Privatpersonen finanziert. Geld von Unternehmen oder Regierungen nimmt WikiLeaks laut Erfinder Julian Assange nicht an. (vk)

Hier geht’s zur Homepage von Wikileaks.

FRANKREICHS Regierungssprecher François Baroin bezeichnete die Veröffentlichung als „Bedrohung der demokratischen Autorität und Souveränität“. Frankreich sei „sehr solidarisch“ mit der US-Regierung. Die Opposition sieht in den Depeschen, in denen etwa Präsident Nicolas Sarkozy als „empfindlich und autoritär“ eingestuft wird, keine Enthüllungen. „Es gibt kein Geheimnis, das man nicht schon kannte,“ sagte Grünen-Chef Daniel Cohn-Bendit.

GROSSBRITANNIEN kritisierte die Veröffentlichung der Dokumente scharf. „Diese können der nationalen Sicherheit schaden, sind nicht im nationalen Interesse und können, wie von den USA angemerkt, lebensbedrohlich sein“, erklärte das Außenministerium. „Wir verurteilen jegliche nicht autorisierte Veröffentlichung dieser geheimen Informationen.“ Premierminister David Cameron sicherte den USA weiterhin eine enge Zusammenarbeit zu.

Hingegen versuchte RUSSLAND, die Tragweite der Dokumente herunterzuspielen. Moskau bedaure die Veröffentlichung der Depeschen, die etwa dem „Alpha-Rüden“ Wladimir Putin die wahre Macht im Land zusprechen, hieß es aus Diplomatenkreisen. Die Enthüllungen seien aber „keine Tragödie“. Eine Sprecherin des Kreml sagte, es gebe in den Berichten „nichts Neues und nichts, was kommentiert werden müsste“.

AFGHANISTAN bezeichnete die Veröffentlichung zwar als „unglücklich“, gab sich aber wenig beeindruckt angesichts der Einschätzung von Präsident Hamid Karsai als „schwache Persönlichkeit“, die von „Paranoia“ getrieben werde. Derlei Kritik sei „nicht neu“, sagte Präsidentensprecher Wahid Omer. Auf die Beziehungen Kabuls zu Washington hätten die Depeschen keinen Einfluss.

Belustigt reagierte offenbar ITALIENS Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der in den Papieren vor allem mit seinem ausschweifenden Partyleben erwähnt wird. Er habe „gut gelacht“, als er davon erfahren habe, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf Vertraute Berlusconis. Italiens Verteidigungsminister Ignazio La Russa bezeichnete die Aussagen als „klägliche Gerüchte“, denen keine Aufmerksamkeit geschenkt werden dürfe.

SCHWEDEN griff hingegen Wikileaks direkt an und erklärte, das Portal „macht die Welt unsicherer“. Es sei notwendig, dass die Kommunikation zwischen Regierungen manchmal geheim bleibe, sagte Außenminister Carl Bildt. Nun drohten neue Konflikte.

ISRAEL reagierte erleichtert. Die Enthüllungen zeigten, dass das Land ehrlich sei und privat wie öffentlich dasselbe sage, erklärte ein Regierungsvertreter und bezog sich auf die Furcht in der Region vor der iranischen Atombombe. Dagegen hüllten sich die GOLFSTAATEN in Schweigen. Laut Wikileaks paktierten zahlreiche arabische Staaten mit den USA gegen den Iran. Das saudische Königshaus habe für einen Militärschlag gegen das Regime in Teheran geworben.