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Es ist ein diplomatischer Scherbenhaufen für die USA. WikiLeaks hat mehr als 250.000 Dokumente aus dem Washingtoner Außenministerium zugespielt bekommen, die Spiegel Online bereits jetzt veröffentlicht.

Zwar unterliegen weniger als die Hälfte der Depeschen der Geheimhaltung. Dennoch hat Wikileaks sie am späten Sonntagabend ins Internet gestellt. Doch die 251 287 diplomatischen Berichte und rund 8000 Direktiven bringen die Großmacht USA in diplomatische Bedrängnis.

Was in den Unterlagen über Deutschland zu lesen ist, klingt nicht gerade nach Lob. Angela Merkel etwa habe den Ton der transatlantischen Beziehungen verbessern wollen, stellt der ehemalige US-Botschafter William Timken in einer Depesche von Ende 2006 an das amerikanische Außenministerium fest. Sie habe aber „keine mutigen Schritte unternommen, um den substantiellen Inhalt dieser Beziehung zu verbessern“. So geht es aus den Wikileaks-Dokumenten hervor, die Spiegel Online jetzt veröffentlichte.

Was ist Wikileaks?

Enthüllen und aufklären – das wollen die Erfinder von WikiLeaks. Auf ihrer Homepage werden geheime Dokumente veröffentlicht, die Skandale aufdecken: über die Kundus-Affäre, über Scientology - und aktuell Zehntausende US-Berichte.

Auf der Internet-Plattform WikiLeaks kann jeder anonym Dokumente veröffentlichen, wenn sie im öffentlichen Interesse stehen. So wurden auf der Plattform bereits Unterlagen, die Steuertricks der Schweizer Privatbank Julius Bär offenbaren, Handlungsanweisungen für das US-Gefangenenlager Guantanamo und geheimes Scientology-Material oder die Mitgliederliste der rechten British National Party veröffentlicht. Auf WikiLeaks wurden auch große Teile der Kundusakte sowie ein Video öffentlich gemacht, das zeigte, wie US-Soldaten in Bagdad unbewaffnete Zivilisten erschießen.

Dabei prüft Wikileaks nach eigenen Angaben jedes Dokument auf seine Echtheit. Das Restrisiko, auf eine Fälschung hereinzufallen, liege bei höchstens einem Prozent. Um die Informationen öffentlich zu machen, wurde ein System „für die massenweise und nicht auf den Absender zurückzuführende Veröffentlichung von geheimen Informationen und Analysen“ geschaffen, wird auf der Homepage behauptet. Serverkosten, Registrierungs-Gebühren, Bankgebühren und Bürokratie-Kosten werden durch Spenden von Privatpersonen finanziert. Geld von Unternehmen oder Regierungen nimmt WikiLeaks laut Erfinder Julian Assange nicht an. (vk)

Hier geht’s zur Homepage von Wikileaks.

Guido Westerwelles Gedanken hätten „wenig Substanz“, wird der gegenwärtige Chefdiplomat der USA in Berlin, Botschafter Philip Murphy, von Spiegel Online zitiert. Das liege vor allem daran, dass offenbar seine „Beherrschung komplexer außen- und sicherheitspolitischer Themen noch Vertiefung erfordert“.

US-Regierung verurteilt Veröffentlichung

Die US-Regierung hatte vor der angekündigten Enthüllung Hunderttausender diplomatischer Depeschen den Druck auf das Internetportal Wikileaks erhöht: Eine solche Veröffentlichung setze zahllose Menschenleben aufs Spiel, bedrohe Anti-Terror-Operationen in der ganze Welt und gefährde die amerikanischen Beziehungen zu den Verbündeten, schrieb das US-Außenministerium in einem Brief an Wikileaks.

Hillary Clinton bemühte sich bereits vor der Veröffentlichung um Schadensbegrenzung: Wegen der bevorstehenden Enthüllung kontaktierte die US-Außenministerin bereits am Freitag Regierungsmitglieder in Deutschland, China, Saudi-Arabien, den Emiraten, Großbritannien, Frankreich und Afghanistan. Auch Kanada, Dänemark, Norwegen und Polen seien gewarnt worden, wie ein Sprecher des Außenministeriums erklärte.

Westerwelle wurde bereits vorgewarnt

US-Außenministerin Clinton habe mit Westerwelle telefoniert und das Thema angesprochen, teilte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Sonntag mit. Bundesaußenminister Guido Westerwelle hoffe, dass es durch die Veröffentlichung interner Dokumente zu keiner Beeinträchtigung von Sicherheitsinteressen Deutschlands oder befreundeter Länder, beziehungsweise der Sicherheit deutscher Einsatzkräfte kommt. Westerwelle wurde in der vergangenen Woche auch bereits vom amerikanischen Botschafter in Deutschland, Philip Murphy, unterrichtet.

Die amerikanische Außenministerin hatte am Freitag in einem Telefonat mit Westerwelle bereits ihr Bedauern über die mutmaßlich bevorstehende Veröffentlichung interner US-Dokumente zum Ausdruck gebracht. Der deutsche Außenamtssprecher wollte sich nicht an Spekulationen über den Inhalt der Dossiers oder möglichen Auswirkungen beteiligen.

Cyber-Attacke?

Während die ganze Welt auf die Enthüllungen von Wikileaks wartete, war und ist deren Webseite nicht zu erreichen. Wikileaks sei nach eigenen Angaben Ziel einer Cyber-Attacke geworden. Die Website sehe sich einem so genannten Denial-of-Service-Angriff ausgesetzt, erklärte Wikileaks am Sonntag über den Kurzmitteilungsdienst Twitter. Bei solchen Angriffen werden Websites gleichzeitig mit Unmengen von Anfragen bombardiert, um sie durch Überlastung zum Zusammenbruch zu bringen. (mit Material von afp/ dapd)