Witten. Dickes Auto trotz Hartz IV: Ein Wittener Ehepaar wittert Sozialbetrug bei den Nachbarn. Das kommt laut Jobcenter nur in Einzelfällen vor.

Seit fast sechs Jahren schon beobachtet ein Wittener Ehepaar in der Nachbarschaft einen vermeintlichen Fall von Sozialbetrug: Eine alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin lebe in fester Beziehung, der Partner gehe arbeiten, fahre dicke Wagen. „Wir haben schon so viele Behörden darauf angesprochen, aber nichts ändert sich“, ist die Ehefrau entsetzt und fragt: „Wieso kommt sie seit Jahren damit durch?“

Zunächst hat das Paar bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige gestellt. Dann haben sich die Eheleute an das Beschwerdemanagement des Jobcenters gewandt. Dort habe man ihnen versichert: „Wir kümmern uns darum.“ Weil sich auch dann offenbar noch nichts veränderte, formulierten sie entsprechende Briefe an die Stadt, führten lange Telefonate. Das alles sei anonym geschehen, sie hätten die Betroffene auch nicht direkt angesprochen. „Wir befürchten sonst Repressalien.“ Dabei hätten sie nicht bloß einen Verdacht, sondern handfeste Beweise.

Wittenerin klagt: Das widerstrebt meinem Gerechtigkeitssinn

Grundsätzlich hätten sie nichts gegen Hartz-IV-Bezieher, stellt das Paar klar. „Wer solche Leistungen bezieht, der hat dafür einen Grund, und das ist okay.“ Doch sei man verpflichtet, jede Änderung der Situation anzuzeigen, was in diesem Fall wohl nicht geschehe. „Das widerstrebt meinem Gerechtigkeitssinn“, so die Ehefrau. „Es betrifft doch jeden, der ordnungsgemäß Steuern zahlt.“

An wen also kann sich das Ehepaar mit seinem Problem noch wenden? Grundsätzlich haben die beiden alles richtig gemacht. „Wer meint, etwas Verdächtiges bemerkt zu haben, kann dies dem Sozialamt oder dem Jobcenter mitteilen. Bestimmte Telefonnummern gibt es dafür nicht“, so Stadtsprecher Helmut Sonder. Immer wieder würden solche „Anzeigen“ eingehen. „Die Mitarbeiter versuchen dann, sich ein Bild von der Sache zu machen. Viele Behauptungen, besonders die anonymen, erweisen sich aber schon auf den ersten Blick als haltlos.“ Das gelte auch für die allermeisten realistischen Verdachtsmomente.

Wittener Jobcenter beobachtet Sozialbetrug nur in Einzelfällen

Der Leiter der Regionalstelle Witten des Jobcenters erklärt, warum das so ist. „Bei vielen Bürgern besteht eine Unkenntnis der rechtlichen Sachverhalte“, sagt Steffen Louis. Im Rahmen bestimmter Grenzen dürften Leistungsempfänger durchaus ein Auto besitzen und im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung auch arbeiten gehen.

Öffnungszeiten der Ämter

Wer einen Fall von Sozialbetrug zu beobachten meint, der kann seinen Verdacht beim Sozialamt oder bei der Regionalstelle des Jobcenters anzeigen.

Das Sozialamt im Rathaus ist geöffnet: Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 8.30 bis 12 Uhr, dienstags außerdem von 14 bis 16 Uhr. Die Regionalstelle des Jobcenters an der Holzkampstraße in Annen ist geöffnet: Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 8 bis 12 Uhr, Montag und Donnerstag außerdem von 14 bis 16 Uhr.

In Witten, so Louis, leben 6628 Leistungsbezieher in 4900 Bedarfsgemeinschaften. Dass Bürger einen Leistungsmissbrauch dieser Personen anzeigen, komme etwa fünf bis zehn Mal pro Jahr vor. „Das sind absolute Einzelfälle.“ Die meisten wenden sich, wie im Falle des Wittener Ehepaars, anonym an die Behörden. „Dafür habe ich auch Verständnis.“ Natürlich würde jeder Sache nachgegangen. Und das Jobcenter ergreife auch selbst die Initiative und mache regelmäßig Datenabgleiche – auch hier ergebe sich nur selten ein Verdacht, weshalb keine Statistik darüber geführt werde.

Bei begründetem Verdacht können Konten abgefragt werden

Bei Verdachtsfällen werde zunächst der Beschuldigte selbst gefragt. Bei begründetem Verdacht können Konten abgefragt und Hausbesuche gemacht werden. Auch könne das Zollamt als Verfolgungsbehörde für Schwarzarbeit eingeschaltet werden. Erhärten sich die Erkenntnisse hinreichend, folgen weitere Aktionen. Es werde Anzeige erstattet. Überzahlte Leistungen können zurückgefordert werden, ebenso wie entstandene Kosten.

Steffen Louis: „Natürlich merken jene, die die Sache angezeigt haben, nicht, wie wir vorgehen.“ Eine Rückmeldung sei wegen der Anonymität nicht möglich, würde es aus datenschutzrechtlichen Gründen aber ohnehin nicht geben. Dem Wittener Ehepaar rät er, den Fall erneut anzuzeigen. Das reagiert enttäuscht: „Es geht doch hier ums Prinzip.“