Es gibt Entscheidungen, die will niemand gerne treffen. Johannes Riße stand an einem solchen Scheideweg. Er entschied sich für eine Familie und gegen seine Berufung. Denn lieben durfte er als katholischer Priester nicht.

Wie sie da so nebeneinander sitzen und sich anlächeln in ihrem Wohnzimmer mit dem bunten Bücherregal und dem goldenen Kreuz an der Wand, ist es eigentlich unvorstellbar, dass es diese Familie eigentlich gar nicht geben dürfte.

Denn die Kirche war Johannes Rißes Leben. Immer schon. Seine Eltern waren sehr engagiert in ihrer Dortmunder Gemeinde. Riße selbst wurde schon als Knirps Messdiener und stieg dann in die Jugendarbeit ein. Als er sein Abitur machte, war der Wunsch, Priester zu werden, schon sehr stark. Er war beseelt von der Idee, sich um eine Gemeinde zu kümmern, Liebende zu trauen, Kinder zu taufen, aber auch Menschen zu trösten, die einen Angehörigen verloren haben.

Also studierte er Theologie, besuchte in Paderborn ein Konvikt (ein kirchliches Internat) und das Priesterseminar. „Da wohnten wir Zimmer an Zimmer, 150 junge Männer, volles Programm, man war nie allein”, erinnert sich Riße. Keine Zeit für Zukunftsängste. Natürlich wusste er, dass er als Priester sein Leben lang alleine leben muss. „Aber was das bedeutet, war mir damals noch nicht bewusst.”

Und dann wurde er mit 26 Jahren im Dom zu Paderborn zum Priester geweiht. Als Vikar kam er in die Wittener St. Marien-Gemeinde. „Eine schöne Zeit”, sagt Johannes Riße und lächelt. „Die Gemeinde hat mich wohlwollend aufgenommen und meine Aufgabe hat mich erfüllt.” Bis er nach Hause kam, in seine 140 Quadratmeter große Dienstwohnung. „Dort war ich allein, konnte mit niemanden reden.”

Und dann lernte er Monika Becker (40) kennen. Sie kümmerte sich um die Jugendarbeit. „Da war gleich klar, dass irgendwas zwischen uns war”, sagt Riße und lächelt seine Frau an. „Die Chemie stimmte einfach.” Die beiden trafen sich, heimlich natürlich. Wenn sie sich in der Öffentlichkeit sahen, mussten sie so tun, als wäre nichts zwischen ihnen. „Ich habe das erst gar nicht als so problematisch empfunden”, sagt Monika Riße-Becker. „Doch nach einer Zeit ging es so nicht weiter. Ich hatte Angst vor der Zukunft.”

Denn nach vier Jahren in Witten sollte Johannes Riße versetzt werden. Das ist in der Zeit als Vikar so. Als er erfuhr, dass er nach Herford muss, war er in Israel, bei einer Gemeindefahrt. „Ich bin sofort nach Hause gefahren und habe dem Bischof gesagt, dass ich nicht nach Herford gehe.” Dieser Ungehorsam wäre schon ein Problem gewesen. Doch der Grund dafür war ja seine Liebe zu Monika. Eine Liebe, zu der er stehen wollte.

Das war das Ende seiner Berufung. Denn nur einen Monat später, nachdem er den Bischof über seine Beziehung informiert hatte, musste er aufhören. Riße durfte sich nicht einmal persönlich von seiner Gemeinde verabschieden. Und er rutschte schnell in die Sozialhilfe, weil er als Priester nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hatte. „Ich bin in ein tiefes Loch gefallen.” Doch auf der anderen Seite war da dieses große Gefühl der Erleichterung. Endlich konnte er seine Monika heiraten. „Leider nur standesamtlich, eine kirchliche Heirat hätte gegen das Kirchenrecht verstoßen.” Die beiden erbaten Gottes Segen trotzdem. Bei einem Gottesdienst im Münsteraner Dom. Ganz für sich.

Dann kam Sohn Simon zur Welt, drei Jahre später Tochter Hannah und dann Nesthäkchen Rahel. Riße fand Arbeit bei der Lebenshilfe und konnte parallel eine Ausbildung als Erzieher machen, später noch zum Heilpädagogen. Seiner Wittener Gemeinde ist er treu geblieben. Seine Frau ist sogar Pfarrgemeinderatsvorsitzende. Keiner hat ihnen die Entscheidung übel genommen. Im Gegenteil: Viele hätten Riße gesagt, wie gern sie ihn als Priester behalten hätten – auch verheiratet.

Aber das ist in der katholischen Kirche ein Tabu. Auch wenn viele Priester heimlich mit einem Partner zusammenlebten, sagt der 42-Jährige. e. Nur werde darüber der Mantel des Schweigens gebreitet. Es sei an der Zeit, dass der Zölibat freiwillig werde. „Die Ehelosigkeit ist eine Form, seinen Glauben zu leben, aber nicht die Voraussetzung, um die Sakramente zu spenden.” Johannes Riße ist enttäuscht von der Amtskirche. Denn in all den Jahren hätte niemand gefragt, wie es ihm gehe. Mit Gott aber blieb er im Frieden: „Gott ist die Liebe, wie kann er da etwas gegen Liebe haben?”

Seine Entscheidung hat er nie bereut. Und wer sich diese glückliche Familie anschaut, versteht das sehr gut.