Witten. . Da sei noch einiges zu tun, gestand NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens beim Besuch im Haus Witten, wo das Gesine-Netzwerk einen runden Geburtstag feierte. Denn Gewalt sei das Hauptgesundheitsrisiko für Frauen, noch vor Brustkrebs und Diabetes. Doch die Ministerin verteilte auch viel Lob.
Sie hatte einen Traum, erzählt Marion Steffens. Auf einer Zugfahrt von Berlin zurück in den Ennepe-Ruhr-Kreis stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn nicht nur das Frauenhaus und die Beratungsstelle gewaltbetroffene Frauen unterstützten. „Wir wollten nicht mehr allein zuständig sein, wollten, dass andere mittun.“ Sie und ihre Mitstreiterinnen konnten Überzeugungsarbeit leisten und so entstand vor zehn Jahren das Gesine-Netzwerk, zu dem inzwischen 100 Personen, Einrichtungen und Institutionen im EN-Kreis gehören.
Dementsprechend gut gefüllt war der Saal im Haus Witten, wo der Geburtstag gefeiert wurde. Nicht nur mit Sekt und Selters, sondern auch mit einem der schon traditionellen Fachtage des Netzwerks. Barrieren zu senken, war hier das Ziel – speziell für Frauen mit Behinderung, „der am stärksten von Gewalt betroffenen Gruppe in Deutschland“, wie Andrea Stolte, Leiterin der Beratungsstelle EN und Moderatorin des Tages, gleich zu Anfang erklärte. Raum schaffen wolle man für die Bedarfe jener Frauen – was nicht nur räumliche Barrierefreiheit meine, sondern auch Veränderungen im Denken und Sprechen.
Netzwerk freut sich über weitere Mitstreiter
Das Gesine-Netzwerk Gesundheit.EN in Trägerschaft des Vereins Frauen helfen Frauen koordiniert die Zusammenarbeit von Einzelpersonen und Einrichtungen im EN-Kreis, die gemeinsam die Situation gewaltbetroffener Frauen verbessern wollen. Aktiv im Netzwerk sind Ärzte, Therapeuten, Berater sowie in medizinischen und psycho-sozialen Einrichtungen Tätige.
Mittlerweile wurde Gesine mehrfach ausgezeichnet und ist weit über den Ennepe-Ruhr-Kreis hinaus bekannt. „Wenn Sie glauben, dass Sie die Welt verändern können, sind Sie bei uns richtig“, appelliert Gründerin Marion Steffens an potenzielle Mitstreiter. Info: www.gesine-intervention.de
Beispielhaft sei da das Projekt, das gerade im Frauenheim Wengern läuft: Die Heimleitung, das gesamte Team und die Bewohnerinnen arbeiten gemeinsam mit Andrea Stolte und Marion Steffens an einer besseren Versorgung und gestärkten Selbstvertretung von gewaltbelasteten Frauen (aber auch Männern) mit Behinderungen.
Eindrucksvoll zeigt auch die Geschichte jener Frau, von der Marion Steffens erzählte, was möglich ist, wenn viele mitmachen. Diese Frau, die wegen einer Gehbehinderung auf einen Rollator angewiesen ist, wurde von ihrem Mann, dem Leiter einer Einrichtung im Gesundheitswesen, geschlagen, weil er oft ungeduldig mit ihr war. Als er ihr wieder einmal mit dem Stock gegen die Beine schlug, rief sie die Polizei. Ihr Mann leugnete die Tat. Doch der Notarzt brachte sie ins Krankenhaus, wo die Ärzte ihrer Geschichte Glauben schenkten und sie an das Gesine-Netzwerk verwiesen. „Nun begleiten wir sie auf dem Weg aus der Gewalt“, so Marion Steffens.
Viel Lob erntete sie für Gesine von ihrer Namensvetterin: Zu Gast war Barbara Steffens, NRW-Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter. Auch das Motto „Barrieren senken“ gefalle ihr gut. „Aber es reicht mir nicht.“ Barrieren abzubauen, das müsse das Ziel sein, „wenn wir wirklich eine inklusive Gesellschaft wollen“. Manchmal helfe schon ein Blickwechsel, der die Behinderung nicht als Defizit, sondern als Stärke begreife. Wie bei den blinden Frauen im Projekt „Helfende Hände“, die aufgrund ihres sensibleren Tastsinns bei anderen Frauen Knoten in der Brust erfühlen können.