Witten. . ... und drum herum: Heute waren wir in und an der Breite Straße unterwegs. Dort gibt es zum Beispiel Musiker, Modefrauen, einen Brillengläser-Hersteller, einen Pizzeria-Inhaber und Fußballfans. Und sie alle erzählten uns, was denn „ihr Viertel“ so ausmacht.
Wer sich über „klönen“ wundert: Ich darf das schreiben, ich komme schließlich aus Ostfriesland, wo man sich nachmittags auf einen schwarzen Tee trifft und über alles und jeden redet. Das geht aber auch mit einer Tasse Kaffee in und an der Breite Straße. Und über was man da alles redet! Mode, Musik, Fußball, Pizza und Brillen waren da Thema. Und das Leben im Wittener „Mikrokosmos“.
„Seit 1946 sind wir schon hier. Also mit dem Familienbetrieb. Wir stellen hier Brillengläser für Optikgeschäfte her, schon in der dritten Generation. Vor 30 Jahren habe ich meine Ausbildung gemacht, ich lebe aber auch schon immer hier. Kurz war ich mal woanders, aber warum weggehen? Wo soll man denn auch hin? Ich bin gerne hier. Es gibt nicht die Möglichkeit, viel umzubauen, und man kennt sich auch einfach. Da plaudert man mal mit den Nachbarn, wenn man sich auf der Straße sieht. Und die Lage ist wirklich zentral. Das ist eine sehr bequeme Geschichte hier.
Modetraum in Witten gelebt
Aber eins nervt mich dann doch: wie die Autos hier durchkacheln! Da hält sich keiner an die Geschwindigkeit. Aber das war früher nicht anders. Na gut, und dann gibt es noch die Lehrer vom Ruhrgymnasium, die immer vor der Firma parken. Das nervt schon, das mit den wenigen Parkplätzen! Alles hat eben seine Vor- und Nachteile. Dafür kommen viele meiner Mitarbeiter auch zu Fuß zur Arbeit, die haben es nicht weit. Da kann auch mal 30 Zentimeter Schnee liegen, die kommen trotzdem her. Meine Frau sagt immer, das ist ein Mikrokosmos, den wir hier haben. Hier passiert immer viel, man muss nicht woanders hin, um Abenteuer zu erleben.“
Jens Matros, 46 („da muss ich immer überlegen, für mich ist das Alter so unwichtig“)
„Ach, das ist ja toll, dass Sie mich besuchen! Da muss ich Sie erst mal drücken! Wissen Sie, ich bin schon seit 16 Jahren hier oben an der Breite Straße mit meiner Mode-Boutique. Das war schon immer ein Traum von mir. Aber ich musste mich erst mal bekannt machen. Früher habe ich viele Modeschauen gehabt, die dann immer größer wurden. Da bin ich auch mitgelaufen. Sehen Sie, die Bilder hängen auch hier im Laden. Ich wollte schon immer kreativ sein. Und hier kommen alle Schichten her, nicht nur aus Witten, auch aus der Umgebung. Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich 16 Jahre lang hierbleibe. Jetzt gehe ich aber auch nicht mehr weg. Und ich wüsste gar nicht, was ich ohne den Laden machen sollte.“
Annette Sopczak, „ich bin 65 – na gut, soll ich ehrlich sein? Ich bin schon 69, schon richtig alt“
Rock’n’Roll im Blut
„Ich bin schon seit über 30 Jahren an diesem Standort. Hat sich nicht viel verändert seitdem. Und meine Kunden kommen noch immer zu mir. Das macht den Musikladen auch aus: die persönliche Bindung. Ich habe Kunden aus der ganzen Umgebung. Sonst würde ich hier in dieser Ecke, so ganz versteckt, auch nicht überleben. Aber in der Innenstadt kann man sich die Mieten ja nicht leisten. Selbstverständlich mache ich auch selber Musik: Ich spiele in der Band ,Who Shot Johnny?’ Übersetzt heißt das übrigens ,wer hat Johnny erschossen?’“
Earnie („darunter bin ich bekannt, unter meinem richtigen Namen kennen mich nur meine Frau und Kinder“), „Alter sage ich nicht, ich möchte ja nicht, dass meine junge Kundschaft denkt, ich hätte kein Rock’n’Roll mehr im Blut!“
Es gibt auch Kritik
Klar, es gibt Leute, die man gerne hier sieht und andere, die man nicht so gerne sieht. Ist aber doch überall so, oder? Ich habe vorher ein paar Jahre in Bochum gelebt, da war es etwas besser als hier. Mehr Chancen. Seit 25 Jahren bin ich nun in Witten an der Breite Straße. Jetzt kommen nicht mehr so viele in meine Pizzeria. Viele gehen nach Dortmund oder Bochum. Da ist die tolle Anbindung hier ein Nachteil, ganz klar.
Giuseppe Difonzo („lesen Sie auf meinem Ausweis, ich habe Zahnschmerzen und kann nicht so deutlich sprechen“), 61
Wir sind hier alle Fußballfans und gucken zusammen in unserer BVB-Halle die Spiele. Wir sitzen oft zusammen, haben sogar ’ne Leinwand und ‘nen Beamer. Die, die arbeiten müssen, sind jetzt natürlich nicht da. Aber man kennt uns alle hier schon. Wer hier alles wohnt? Normale Menschen, die Bier trinken. Irgendwo muss man ja wohnen. Aber ein Drittel meiner Zeit verbringe ich hier in der Halle. Hier lebe ich. Ja, wo geht man sonst in der Umgebung hin? In ‘ne Kneipe vielleicht noch. Sonst ist hier ja auch eigentlich tote Hose!
Manfred Volkmann , 73