Witten. .

77 Jahre hat Wickmann (1930 bis 2007) den Stadtteil Annen geprägt – mit zu Spitzenzeiten über 1000 Arbeitsplätzen auf dem zwölf Fußballplätze großen Gelände (60 000 qm). Vom Aufstieg und Fall des Wittener Sicherungsherstellers berichteten die Buchautoren Ralph Klein und Manfred Rupalla beim 16. Wittener Archivforum.

Kaufmann Richard Wickmann (1887 - 1971), der das Unternehmen 1918 in Dortmund gründete, hatte den nach dem Ersten Weltkrieg einsetzenden Elektrifizierungs-Boom und den damit verbundenen Siegeszug von Sicherungen vorausgeahnt. Mit seinen Brüdern Josef (1891 - 1985) und Karl (1889 - 1979) reparierte er diese zunächst nur. Ab 1922 gingen sie auch zur Produktion von Sicherungen über, ohne die bald kaum ein Elektrogerät mehr auskam. Die Zahl der angemeldeten Radiogeräte beispielsweise „explodierte“ von 500 im Jahre 1913 auf fünf Millionen anno 1930.

In diesem Jahr wechselte Wickmann auch von „der Dortmunder Klitsche“ (Klein) nach Annen. 180 Mitarbeiter waren es dort anfänglich, die zunächst alle – einschließlich Produktion – in der alten Villa unterkamen. Gefertigt wurde im Schichtbetrieb. Die Zahl der Beschäftigten stieg rapide an: 1936 waren es schon 480 in Witten, im Jahr 1944 dann 1100 und konzernweit schon 1570. Nach der Schilderung des Wittener Historikers Ralph Klein (58) waren die Brüder Wickmann trotz Parteibuchs „keine ideologischen Nazis“. Sie machten sich aber den Rüstungsboom vor und im Zweiten Weltkrieg zunutze, übernahmen Großaufträge für Marine (wie Sicherungsanlagen für die U-Boot-Flotte), für die Luftwaffe und das Heer. Neue Produktionshallen wuchsen auf dem Werksgelände.

671 Patent-Anmeldungen

Mit-Autor Manfred Rupalla (66), der selbst als Elektrotechniker von 1971 bis 2007 bei Wickmann gearbeitet hat, hob die hohe Innovationsfähigkeit hervor. Wickmann meldete von 1932 bis zur Schließung 671 Patente an („Das können Sie heute noch googlen“), perfektionierte Kleinstsicherungen, entwickelte „nicht mehr wegzudenkende Sicherungen“ für Hausanschlusskästen (32 und 63 Ampère), in den 1980er Jahren „die ersten Chip-Sicherungen zum Auflöten“ – baute zudem die Fertigungsanlagen selbst. Wickmann setzte sich stark für die Normierung von Sicherungen ein - und profitierte selbst gut davon.

Das Wittener Unternehmen hatte 2004 einen Jahresumsatz von 75 Millionen Euro, war mit 54 Standorten/Vertretungen in 43 Ländern bei den Sicherungen die Nummer 1 in Europa, die Nummer 2 in der Welt. 1998 hatte Wickmann noch vergeblich versucht, Weltmarktführer Little Fuse (USA) zu übernehmen. Der drehte 2004 den Spieß um. Drei Faktoren waren es laut Ralph Klein, die Wickmann in die Knie zwangen: nachlassende Innovationskraft, die Asienkrise 1997/98 mit dem Dollar-Verfall und die Globalisierung, auf die das Unternehmen mit der Auslagerung der Produktion zunächst selbst gesetzt hatte, deren Opfer es aber am Ende selbst wurde.

Lohn für alle in Ostermann-Tüten transportiert

Die Führung des städtischen Denkmalpflegers Florian Schrader durch die „Villa Wick“ im Rahmen des Archiv-Forums nutzten auch zwei ehemalige Wickmann-Mitarbeiterinnen für einen Besuch.

„Das ist schon emotional“, sagte Christine Sondermann. Die Bommeranerin hatte dort ab 1962 Industriekauffrau gelernt und bis 1968 im Export gearbeitet – und die Villa seitdem nicht betreten. Sie erinnert sich gut an die wöchentliche Übergabe der Lohntüten im Keller: „Am Tag vorher hat man uns zur Bank in der Annenstraße geschickt, wir haben das Geld mit zwei Ostermann-Tüten abgeholt.“

Ehemalige blicken wehmütig zurück

Marita Grun ging 1964 bei Wickmann in die Lehre als Industriekauffrau, blieb bis 1969. „Mein Opa hat hier gearbeitet, mein Vater hat hier sein ganzes Arbeitsleben verbracht und hier meine Mutter kennengelernt.“ Der Zusammenhalt sei groß gewesen. „Wir waren damals eine große Familie, als Kinder haben wir von Wickmann sogar Weihnachtsgeschenke gekriegt.“ Grun: „Über den Abgang bin ich immer noch tieftraurig - das hätte nicht sein müssen.“

Die ehemalige „Villa Wick“, heute Teil des Technischen Rathauses, steht unter Denkmalschutz. Der Kern geht auf ein 1882 errichtetes Wohnhaus zurück. Die Firma Krupp, die 1886 das Gelände übernahm, erweiterte die Villa 1908 - 1910, baute sie zum Verwaltungsgebäude um. Gleichzeitig wurde das Firmenportal repräsentativ erweitert - um das Pförtnerhaus, das Milchhaus (Arbeiterspeisehalle mit Ausschank) und das Brausebad. An zwei Fassaden sind bis heute die drei Kruppschen Ringe zu sehen.