Witten. . Vor 800 Jahren war Witten nicht mehr als ein Kirchdorf mit 150 Einwohnern.Das Sagen hatte Graf Friedrich von Altena-Isenberg, der bei Hattingen residierte und in einen historischen Kriminalfall verwickelt war.
Als der Name Wittens vor 800 Jahren, im Jahre 1214, zum ersten Mal in den historischen Quellen erwähnt wurde, handelte es sich um ein Dorf mit etwa 30 Vollbauernhöfen und nicht mehr als 150 Bewohnern. Der einzige uns bekannte Einwohner war der Pfarrer der Johanniskirche, Antonius. Er bekleidete zugleich das Amt eines Dechanten für ein Dekanat, das von Wattenscheid bis Schwerte reichte.
Die Grund- und Ortsherrschaft übte Graf Friedrich von Altena-Isenberg aus, der auf der Isenburg westlich Hattingens residierte. Es war jener Graf, den man für den Totschlag an dem Kölner Erzbischof Engelbert in der Nähe Gevelsbergs (1225) verantwortlich machte. An diesen Kriminalfall erinnert die um 1230/35 gestaltete hölzerne Monumentalstatue des Erzbischofs, die üblicherweise in der Eingangshalle des Märkischen Museums zu besichtigen ist, zur Zeit aber an das Ruhr-Museum in Essen ausgeliehen ist.
Zwei Schutzheilige
Graf Friedrichs örtlicher Verwalter war der Schulte von Witten; er bewirtschaftete den Schultenhof, der gegenüber der Johanniskirche etwa an der Stelle des heutigen Südflügels des Rathauses gesucht werden muss. Der Bau der Johanniskirche war nicht mit dem heutigen identisch, der – archäologisch und durch Schriftquellen nachweisbar – mehrere kleinere Vorgänger besaß. Neben dem Hl. Johannes war die Kirche auch dem Hl. Dionys geweiht, einem „Königsheiligen“ der karolingischen und ottonischen Dynastie (9./10. Jahrhundert), dessen Gedenken von Frankreich (St. Denis!) hierher „importiert“ wurde. Aus dieser Tatsache lassen sich Vermutungen über ein höheres Alter der Kirche und damit des Dorfes ableiten. Sie sind jedoch quellenmäßig nicht beweisbar
Kirche und Schulten-Hof lagen am nördlichen Rande des Dorfes Witten. Östlich an die Kirche schloss sich das „Oberdorf“ an, an das bis heute die Straßen Oberdorf, Obergasse und Oberstraße erinnern. Es erstreckte sich zwischen Johanniskirche und Oberstraße. Als seine Achse diente die heutige Johannisstraße, die von einem Bachbett begleitet wurde.
Prof. Dr. Heinrich Schoppmeyer
Prof. Dr. Heinrich Schoppmeyer war 1987 bis 2011 Vorsitzender des Vereins für Orts- und Heimatkunde in der Grafschaft Mark. Er ist Verfasser von „Witten. Geschichte von Dorf, Stadt und Vororten“, 2 Bände (2012). Er trägt in loser Folge zur 800-Jahre-Serie bei.
Die beiden historischen Illustrationen sind diesem Buch entnommen. Das Foto des Johannisviertels (1926) stammt ursprünglich von Friedrich Blome. Die Bergamtskarte hat Klaus Eichholz 2005 reproduziert. Kleines Foto von H. Schoppmeyer: Walter Fischer
Der Johannis-Bach ergoss sich etwa im Bereich des heutigen „Celestian-Baus“ in einen Teich. Die kurvige Trassenführung der Johannisstraße hat bis heute ihre mittelalterliche Linie bewahrt und zum Glück allen modernen Begradigungsgelüsten widerstanden. Die Bebauung mit Höfen endete hier an der Einmündung der späteren Lutherstraße bzw. der heutigen Straße Oberdorf.
Bei den Behausungen dürfte es sich um 1200 teils um den älteren Typ der eingetieften und niedrigwandigen Grubenhäuser, teils um den „moderneren“ der Schwellbalkenhäuser gehandelt haben, die jeweils von kleinen Koch- und Vorratshütten sowie von auf Ständern gesetzten Speichern umgeben waren. Während die eingerammten tragenden Pfosten der Grubenhäuser der Fäulnis höchstens 50 Jahre widerstanden, waren bei den Schwellbalkenhäusern die Pfostenständer auf Balken oder später auf Steinfundamente gesetzt. Die Ständer wurden von der Bodenfeuchtigkeit nicht erfasst und hielten daher länger. Ihr Bau war jedoch statisch aufwendiger.
Oberdorf, Unterdorf und Süddorf
Überbleibsel der mittelalterlichen Dorfstruktur Wittens finden sich auch an anderer Stelle. Das „Unterdorf“, neben dem „Oberdorf“ die zweite Siedlungszelle Wittens, hatte sich zwischen der späteren Casino- und Wiesenstraße entwickelt, die um 1214 als „Straßen“ natürlich noch gar nicht existierten.
Das Gelände zwischen den genannten „Straßen“, das von den Gehöften des „Unterdorfes“ angerartig umschlossen wurde, war grasbedeckt und wurde von einem später Heilenbach genannten Bachlauf durchflossen. Er erhielt sein Wasser aus dem Dorfteich und war insoweit eine Fortsetzung des Johannis-Bachs. Hier an der Wiesenstraße lag später (im 17. Jahrhundert) der Hof des Bauern Bottermann, dessen Name sich mit einem tragischen Schicksal verbindet. Wie die Johannisstraße ist also auch die Trassenführung von Wiesen- und Casinostraße mittelalterlichen Ursprungs.
Schließlich besaß das „Süddorf“, die dritte Siedlungszelle des Dorfes Witten, einen ähnlichen Charakter wie das „Unterdorf“. Die angerartige freie Wiesenfläche breitete sich hier in einem Oval aus, das etwa von der späteren Süd- und Schumacherstraße begrenzt wurde. Das „Süddorf“ lag unterhalb des Schwanenmarktes wie das „Unterdorf“ auf der ersten Ruhrterrasse; sein Südende wurde durch den Surmanns-Hof (=Sudermanns Hof) bezeichnet. Er stand etwa an der Stelle des heutigen Hochhauses an der Einmündung der Südstraße in die Husemannstraße. Die angerartige Grasfläche wurde von der Hüstenbecke bewässert, die anschließend etwa parallel zur heutigen Husemannstraße talwärts floß und der Ruhr zustrebte. Die freie Fläche war von fünf oder sechs großen Vollbauernhöfen umstanden.
Zu diesem Zeitpunkt –um 1214– existierten weder das heute so genannte Haus Witten (eigentlich: Haus Berge zu Witten), dessen Ursprünge erst im 15. Jahrhundert liegen, noch das Haus Hardenstein (heute Ruine), das in der Mitte des 14. Jahrhunderts im ersten Takt erbaut wurde, noch das fälschlich „Schloss“ genannte Herrenhaus Steinhausen, dessen Vorgänger, die Burg Steinhausen, in den letzten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts erbaut wurde.
Vor 800 Jahren war also Witten keine „Stadt“, sondern ein Kirchdorf, dessen Pfarrer zentrale Funktionen über die Ortsgrenzen hinaus wahrnahm.