Witten. . Wenn Eltern um das Sorgerecht für ihr Kind streiten, sind die Kinder meist die Verlierer. Das bekam ein Elfjähriger jetzt besonders hart zu spüren: Er lebt seit sieben Monaten im Heim. Dabei würde er lieber beim Vater wohnen. Deshalb kämpft der 52-jährige Wittener um seinen Sohn. Mit allen Mitteln.

Seit sieben Monaten lebt ein Elfjähriger im Heim. Nicht, weil ihm zu Hause sexueller Missbrauch oder Verwahrlosung drohen – die Eltern könnten beide für ihn sorgen. Doch sie streiten um genau dieses Recht. Der Vater, ein 52-jähriger Wittener, der von der Kindsmutter getrennt lebt und nicht mit ihr verheiratet ist, hat im Juli 2012 das gemeinsame Sorgerecht und im Oktober 2012 das Aufenthaltsbestimmungsrecht beim Amtsgericht Dortmund beantragt. Seitdem ist keine Entscheidung gefallen.

Der Wittener lebt in einem Haus mit Garten. In der Küche hängt ein Schneidebrettchen über dem Herd. „Super-Papa“ steht darauf. „Das hat mein Sohn mir geschenkt. Wir kochen gern zusammen“, sagt der Vater. Schon seit Jahren äußere der Junge den Wunsch, bei ihm zu leben, statt bei der Mutter in Dortmund. Diesen habe er ausführlich gegenüber dem Jugendamt, seinem Verfahrensbeistand und der Richterin geäußert. Daraufhin wurde im Januar 2013 beschlossen, dass das Kind mehrere Monate beim Vater probewohnen dürfe. „Ich habe in dieser Zeit meine Arbeitsstunden reduziert und eine Haushaltshilfe eingestellt“, sagt er.

Familienpsychologisches Gutachten

Gleichzeitig gab das Gericht ein familienpsychologisches Gutachten in Auftrag. Es sollte am 30. August 2013 vorliegen, wurde aber erst im März 2014 abgeschlossen. „Gründe für die Verzögerung wurden nicht genannt“, sagt der Vater. Inzwischen räumte die Diplom-Psychologin außerdem gegenüber der Richterin Flüchtigkeitsfehler im Gutachten ein: Aufgrund eines Formatierungsfehlers tauchten dort falsche Namen auf.

Die Sachverständige, so der Vater, habe das Gutachten auf der Basis zweier Besuche angefertigt: Sie beobachtete Vater und Sohn beim Schach sowie Mutter und Sohn beim Monopolyspiel. In einem Zwischenbericht beschreibt sie, dass der Junge sich in einem Loyalitätskonflikt gegenüber den Eltern befindet. Um seinen Willen in neutraler Umgebung überprüfen zu können, sollte er in einer so genannten Diagnosegruppe untergebracht werden.

Sohn kommt mit Alkohol und Drogen in Kontakt

Statt in einer solchen Gruppe lebt der Junge seit 1. September 2013 in einer Wohngruppe in Unna, weshalb er auch die Schule wechseln musste. „Ein vom Familiengericht in Auftrag gegebenes Gutachten erfordert zeitgleich keine Unterbringung in einer Diagnosegruppe“, erklärt Anke Widow, Pressesprecherin der Stadt Dortmund, auf Anfrage.

Laut Aussage des Vaters kommt sein Sohn in der Wohngruppe mit Alkohol und Drogen in Kontakt. Er sei schon bedroht worden, habe inzwischen selbst gestohlen und einen Zigarettenautomaten manipuliert. Der Vater informierte das Jugendamt am 16. Januar 2014 darüber: „Bis heute habe ich keine Antwort erhalten.“ Die Wohngruppe gelte „als angesehene Einrichtung. Gleichwohl werden die Vorwürfe geprüft“, teilte Anke Widow unserer Zeitung am Donnerstag schriftlich mit. Die Mutter wollte sich nicht äußern.

Anwalt: „Fall hat Seltenheitswert“

„Dieser Fall“, sagt Michael Titze, Rechtsanwalt des Wittener Vaters, der um das Sorgerecht für seinen elfjährigen Sohn kämpft, „hat schon Seltenheitswert“. Normalerweise seien die Herausnahme eines Kindes aus seiner Familie und die Heimunterbringung das allerletzte Mittel. „Die in der Gesamtschau nicht zu übersehende zögerliche Bearbeitung der Angelegenheit ist mit dem Kindeswohl nicht mehr in Einklang zu bringen“, urteilt er über das inzwischen mehr als 20 Monate dauernde Verfahren.

Überhaupt sei im gesamten Verlauf zu wenig auf das Kind eingegangen worden. „Wenn der Junge massiv fordert, beim Vater leben zu wollen, dann muss man sich damit auseinandersetzen“, so Titze. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne auch „der klare und konstant geäußerte Wille eines fast Zwölfjährigen entscheiden“.

Ein Telefonat alle drei Wochen

Der Vater darf seinen Sohn derzeit einmal im Monat sehen und alle drei Wochen mit ihm telefonieren. „Wenn ich geahnt hätte, dass mein Sohn im Heim landet, hätte ich den Antrag auf das Sorgerecht nicht gestellt“, sagt er heute über den „Albtraum, der nicht endet“. Doch jetzt wolle er, wenn nötig, bis zum Europäischen Gerichtshof gehen.

Zunächst steht am 10. April die Hauptverhandlung an, in deren Mittelpunkt die Empfehlung der Gutachterin steht. Laut ihrer Einschätzung soll der Junge bei der Mutter bleiben. In diesem Fall will der Vater vor das Oberlandesgericht ziehen.

„Alle anderen Beteiligten sind auf Seiten der Mutter“, sieht sich der Wittener in einer schwierigen Position. Dass all jene außerdem Frauen sind – Mutter, Richterin, Gutachterin, Jugendamtsmitarbeiterin, auch der Verfahrensbeistand – mache die Sache nicht leichter, vermutet inzwischen auch der Anwalt.