Witten. . In Witten ist er bekannt wie ein bunter Hund, nicht nur, weil er zehn Jahre Erster Stellvertretender Bürgermeister war. In wenigen Monaten tritt Heinz-Jürgen Dietrich (SPD) von der politischen Bühne ab. Aber auch ohne Ratsmandat hat der 72-jährige noch gut zu tun. Ein Schlitzohr mit Humor und sozialer Ader.

Ein Schlitzohr mit einer sozialen Ader und schier unerschöpflichen Energie: Was soll bloß aus Heinz-Jürgen Dietrich (SPD) werden, wenn er nach 25 Jahren im Rat ab Mai in den politischen Ruhestand geht?

Nun, wirkliche Sorgen braucht man sich um den kleinen Mann mit der großen Klappe nicht zu machen. Allein die Zahl seiner Mitgliedschaften in Vereinen reichten bei anderen für mehrere Leben: Walze, Wabe, Freundeskreis Kursk und Tcew, Partnerschaftsverein, KSV, Heimatverein, Schützenverein... Achtung, Klaus Lohmann, Sie bekommen Konkurrenz!

Ein Hans Dampf in allen Gassen, rast- und ruhelos, einer, der sich beim Holzhacken entspannt. Man kann sich gut vorstellen, wie dieser Spross aus einer sozialdemokratischen Familie - schon der Vater war Ortsvereinsvorsitzender in Krone - früher nicht lange stillsitzen konnte und viel Blödsinn im Kopf hatte. Aber, und hier kommt das Soziale ins Spiel, er war wohl nie einer, der sich seinen Spaß auf Kosten Schwächerer machte.

Die Geschichte mit Siegfried im Versorgungsamt

Als er im Stahlwerk malochte, setzte sich Dietrich für „Siegfried“ ein, der die Metallspäne wegfegte. „Siegfried wurde oft veräppelt. Als das überhand nahm, hab ich mich um ihn gekümmert“, erinnert sich der 72-jährige Stockumer. Und jetzt tritt das Schlitzohr in Erscheinung: Dietrich fuhr mit Siegfried zum Versorgungsamt, um „denen begreiflich zu machen, dass er zu mehr als 50 Prozent schwerbehindert ist“. Ließ Siegfried auf den Behördenfluren scheinbar allein, so dass dieser nur noch ziellos umherirrte. „Da war das allen klar.“

Er könnte viele solcher Geschichten erzählen, der gelernte Dreher, der mit 13 in die Lehre kam und später „Zuschläger“ in der Schmiede des Gussstahlwerks wurde. „Deswegen sind die Arme immer noch dick.“

Viele Arbeitslose und eine Kundgebung mit 6000

Er trat früh in die IG Metall ein, wurde Vertrauensmann, aber keiner, der nur im Betriebsratsbüro saß und Kaffee trank. „Ich war 25 Jahre im Drei-Schicht-Betrieb.“ Anfang der Achtziger wurde er bei Thyssen Edelstahl freigestellter Betriebsrat. Später begleitete er - da schon als Erster Bevollmächtigter der Gewerkschaft - die großen Arbeitskämpfe. „Witten brennt“ hieß es am 22. März 1997 bei einer Kundgebung mit 6000 Menschen, die sich große Sorgen um den Erhalt des Werks und die steigende Zahl von Arbeitslosen machten. „Witten hatte knapp 17 Prozent.“

Er kennt Gott und die Welt

Die Fabrik überlebte, doch so manche Firmenpleite blieb dem mächtigen Metaller nicht erspart. Es gab aber auch erfolgreiche Rettungsaktionen wie bei Ruhrpumpen, Dittmann & Neuhaus oder EZM. Ein guter Draht zum Land war hier manchmal durchaus hilfreich.

1989 kam Dietrich erstmals in den Rat, wo er im Ausschuss die Themenfelder Arbeitsmarkt, Wirtschaftsförderung und Wohnumfeld beackerte. Später wurde er - was denn sonst - Sozialausschussvorsitzender. Er mischte mit bei der Gründung des Hauses im Park, einer Anlaufstelle für Drogenabhängige im Lutherpark, die bis dahin den Rathausplatz bevölkert hätten. Der CDU rechnet er noch heute hoch an, sich damals trotz gegenteiliger Meinung enthalten zu haben. Es sei ihm wichtig gewesen, die anderen einzubinden. Auch die Arbeitsloseninitiative Wabe nennt er sein „Kind“. Geklaut hatte der Mitbegründer des ersten Wittener Ausländerbeirats die Idee dazu in der DDR.

Dietrich war und ist ein Kümmerer. „Erst heute Morgen hat sich einer gemeldet. Er braucht’n Saal für 150 Leute.“ Er kennt Gott und die Welt, ein idealer Kandidat für das Amt des Ersten Stellvertretenden Bürgermeisters. Als er in dieser Funktion beim 100-Jährigen seiner alten Firma Heinrich Geißler am Stockumer Bahnhof aufkreuzte, meinten die früheren Kollegen anerkennend: „Kehr, aus dir Saujunge ist ja doch noch was geworden.“