„Moin, moin”, sagt Bernd Kersting zur Begrüßung wie ein Nordlicht und steigt am Ruhrtalradweg von seinem blauen Tourenrad ab. Nordlicht? Nein, der kleine Mann mit den schneeweißen Haaren, die am Hinterkopf zu einem kleinen Pferdeschwanz zusammengebunden sind, ist ein waschechtes Kind des Ruhrgebiets
„Das ,Moin' ist noch aus einer Zeit, als ich regelmäßig nach Hamburg gefahren bin. Ich bin aber in Dortmund geboren und fühle mich heute noch als Dortmunder”, stellt er klar.
Bernd Kersting, der am Freitag 80 Jahre alt wird, kann aus einem bewegten Leben viel erzählen. Gelernt hat er Technischer Zeichner, wurde dann, mit 16, Soldat im Zweiten Weltkrieg. Wieder Zuhause lernte er Kfz-Handwerker, machte sich später im Handelsbereich selbstständig. „Mit 40 habe ich dann beschlossen, in Freiburg Sozialarbeit zu studieren. Das war schon witzig zwischen all den jungen 68ern”, plaudert das Geburtstagskind und die Lachfalten am Rande seiner Nickelbrille tanzen. 22 Jahre blieb er in Süddeutschland, wo auch seine drei Kinder aufwuchsen. Danach zog er nach Witten um, wo er bis zu seiner Pensionierung 1991 als Sozialarbeiter beim Verein für Kinder- und Jugendhilfe tätig war.
Fahrrad - so sinniert der Sattel-Senior - sei er eigentlich immer schon gefahren. „Früher gab es ja auch nichts anderes.” Während seines Beruflebens kam er allerdings selten dazu, in die Pedale zu treten. Sei er Rentner ist, umso öfter. „Ich bin nicht der Typ, der in der Bude hockt. Ich muss jeden Tag mindestens ein paar Stunden in die Natur.” Zwischen 8000 und 10000 Kilometer fährt pro Jahr mit dem Fahrrad. Mit dem Tourenrad, dem Liegerad oder seinem alten Drahtesel. Mal fährt er allein. Oft führt er aber auch Gruppentouren des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC). 8000 bis 10000 Kilometer im Jahr - Zahlen, von denen sein kleiner Kombi nur träumen kann. „Den nutzte ich nur, wenn es nicht anders geht.”
Ein Navigationsgerät braucht er im Radsattel nicht. „Ich fahre die Touren vorher ab und merke mir die Strecke”, sagt Bernd Kersting. Es gebe ja genug reizvolle Touren in der Umgebung. 40 bis 50 Kilometer kommen bei einer Tour spielend zusammen. Gelegentlich darf es auch etwas weiter sein. So wie am vergangenen Wochenende. Da ging es ins Rosendorf Seppenrade - 50 Kilometer hin, 50 Kilometer zurück. Bei strahlendem Sonnenschein. Dem Mann sieht man an, dass er ein Sonnenanbeter ist. Aus dem grau-blauen Radhemd wachsen knackig-braune Arme. Die Shorts geben den Blick auf durchtrainierte Waden gleicher Farbe frei. Radfahren hält fit. Erkältung ist für den 80-Jährigen ein Fremdwort. Beim jährlichen Check haben die Ärzte nichts bemängeln. „Natürlich weiß ich, dass man zum Beispiel auf sein Cholesterin achten muss. Ich ernähre mich dementsprechend.”
Ein Bierchen oder einen Wein gönnt er sich schon hier und da. „Aber nur nach Sonnenuntergang.” Und da ist es wieder, das ansteckende Lachen. Ein Kännchen Kaffee und ein Stück Torte lehnt Bernd Kersting auch nicht ab. Damit belohnt er sich auf seinen Ausfahrten.
Am Samstag wird er nicht in den Sattel steigen. Dann muss er die Fete für seine Clique vorbereiten. Kartoffelsalat und Buletten. Am Sonntagmorgen will er wieder fahren. Eine Woche später wird der runde Geburtstag im Kreise der Familie gefeiert. „80”, so sagt Bernd Kersting fast beiläufig, „80 ist doch nur eine Zahl”. Wichtig sei, wie alt man sich fühle. Und wie alt fühlt er sich? 65. „Aber nicht älter”, betont Bernd Kersting, droht im Scherz mit dem erhobenen Zeigefinger, schwingt sich in den Sattel und fährt grinsend davon.