Witten. .
Zustimmen oder ablehnen? Für viele Wittener SPD-Mitglieder scheint die Antwort schon festzustehen. Sie wollen dem Koalitionsvertrag mit der CDU/CSU ihren Segen geben. „Alles andere schadet der Partei“ - den Satz hörte man so oder ähnlich öfter bei einer Mitgliederversammlung der Ortsvereine aus Annen und Rüdinghausen/Schnee.
Im Saal des Hotels Specht diskutierte der direkt gewählt neue SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Kapschack das ausgehandelte Papier mit rund 50 Genossen. Ausgedruckte Parteihefter auf den Tischen verkünden die „sozialdemokratischen Eckpunkte des Koalitionsvertrages“. „Deutschlands Zukunft gestalten“ steht in großer Schrift auf dem Titelblatt. „Propaganda von oben“, munkeln einige SPD-Mitglieder. Schon vor dem eigentlichen Beginn der Veranstaltung machte sich bei einigen Unmut breit. „Das ist Nötigung der Parteibasis“, sagt ein älterer Herr, selbst langjähriges Parteimitglied.
Mehr Geld für die Kommunen
Gekommen waren die Alteingesessenen. „Wer die SPD gewählt hat, wollte doch den Wechsel und keine große Koalition“, sagt einer. Das schlechte Abschneiden der Partei am 22. September wirft Schatten auf die Gesichter. „Wir haben nicht den Koalitionsvertrag verloren, sondern die Wahl“, meldet sich ein Gewerkschafter zu Wort. Er plädiert für ein Ja zum Vertrag. Damit war er nicht der Einzige im Saal.
„Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich heute Abend hier stehe und sage: Ich werbe dafür,“ erklärt Ralf Kapschack. Seine Rede pro „GroKo“ trifft dennoch – oder gerade aufgrund Kapschacks früherer Vorbehalte – auf große Zustimmung. Für ihn hätten die sozialdemokratischen Themen im Vertrag letztendlich den Ausschlag gegeben. „Wir haben mehr herausgeholt als zu erwarten war.“
Mindestlohn, Rente mit 63 bei 45 Versicherungsjahren und vor allem die Mittel für die Kommunen stellt der Abgeordnete heraus. Wenn er für die Koalition werbe, dann aus Überzeugung, „nicht, weil ich Angst um mein Mandat haben müsse“, so der 58-Jährige. Und: „Weil ich unserem Kämmerer nicht erklären kann, warum ihm sonst über 6,5 Millionen im Haushalt fehlen.“ Dieses Argument stimmt viele nachdenklich.
Ein Fußballvergleich ist es schließlich, der die meiste Zustimmung findet: Ein gutes Team brauche mehrere Anspielstationen, meint Kapschack. Wer jetzt die „Anspielstation“ CDU/CSU verweigere, könne gleich vom Platz gehen. „Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, mich vier Jahre lang auf die Zuschauertribüne zu setzen.“
Die Möglichkeit selbst Einfluss zu nehmen, sehen einige Genossen im Saal als Chance und appellieren an die anderen Mitglieder, zuzustimmen. Trotzdem bleiben manche skeptisch: „Es ist doch aber nicht so, als ob wir in der Opposition keine Gestaltungsmöglichkeiten hätten“, gibt ein Genosse zu bedenken. „Ich lehne den Koalitionsvertrag ab. In Einzelpunkten mag er gut sein. Aber in großen Zügen wird er uns mehr schaden.“
Klaus Lohmann, Vorsitzender des Ortsvereins Hüllberg, hielte es für ein „Desaster in der Partei“, sollte die Basis nicht mitziehen. „Wir haben dann alle Spitzenleute und Ministerpräsidenten, die dahinterstehen, beschädigt.“ Am „Erhalt der sozialdemokratischen Identität“ innerhalb der Koalition müsse aber gearbeitet werden, fordert einer der Kritiker. Er hält die Wahl aber genau aus diesem Grunde schon für gelaufen: Niemand sei daran gelegen, jetzt die Partei dermaßen zu beschädigen.
Jeder müsse letztendlich selbst entscheiden, sagt Ralf Kapschack. Sein Fazit: „Schaut euch den Koalitionsvertrag an, wenn ihr die Zeit habt. Schaut auf die Punkte, die euch wichtig sind, und zieht zum Schluss einen Strich darunter.“