Witten. .
Durch Nacht und Wind zu reiten, das ist auf lange Sicht doch ungesund. Und so sitzt Jochen Winter am Sonntag zum letzten Mal im Sattel, mit rotem Mantel und Soldatenhelm, und führt den Herbeder Laternenzug an.
Im nächsten Jahr macht es sich der Pastor dann in seinem Rentnersessel gemütlich, gewärmt von seinen Fußballschals.
Bei einem Gespräch mit Pastor Winter müsste man ein Tonband mitlaufen lassen. Wenn er erzählt vom „Knüppel, wo dat Lämpken dran ist“ (die Laterne), dann ist das Ruhrpott-Kabarett pur. Sein letzter Ritt als St. Martin, erfüllt ihn das nicht mit Wehmut? „Es ist ja momentan alles zum letzten Mal: meine letzte Firmung, meine letzte Erstkommunion. Ich bin seit 42 Jahren Priester, davon 29 in Herbede“, sagt er. „Irgendwann reicht’s auch.“
Jochen Winter gehört für alle nach Herbede, dabei ist er gar nicht aus dem Dorf: Stammt aus Bochum-Gerthe und geht auch dorthin zurück, wo er seine erste Kaplanstelle hatte. Am 17. Mai 2014 wird er in den Ruhestand verabschiedet, aus dem Pfarrhaus an der Meesmannstraße ausziehen, in eine Bochumer Mietwohnung mit gutem Straßenbahnanschluss - zu den VfL-Spielen. Ostkurve, in Trikot und blau-weißem Schal, dafür brennt sein Herz. Obwohl es groß genug ist für seine zweite Liebe: der SV Herbede. Stolz zeigt er seine Karte: „Ehrenmitglied auf Lebenszeit, das ist doch sonst keiner“.
Neben der Bochumer Ostkurve und der Herbeder Bande hat er noch den Hang zu Hang. Der 69-Jährige ist glühender Alpinist und macht noch immer „so richtig senkrechte Sachen“. Seit 37 Jahren fährt er zwei Mal pro Jahr in die Dolomiten. Dort wohnt er im Pfarrhaus, klettert viel („ich muss die Karabiner klirren hören“) - und hält für die Touristen die Messe. Auf italienisch! „Also: ich schreibe die Predigt und die Haushälterin übersetzt sie. Ich trage das vor und sie nickt, wenn die Betonung stimmt. Und in der Vorabendmesse staunen alle: Mensch, wat kann der Dechant aus Deutschland gut Italienisch!“
Kann er auch gut reiten? „Na so, dass man drauf bleibt“, sagt er bescheiden, erzählt aber zeitgleich, wie er mit jungen Mädchen beim „Horse Tracking“ über Stock und Stein galoppierte. Gibt es in Witten noch einen reitenden Pastor? Nee. Nur einmal, da ging er fremd und ritt auch für St. Marien. Und sein Vorgänger, Dechant Korowski, saß auf einem Kaltblut.
Winters Huftier ist ein ruhiges Fjordpferd, 21 Jahre alt, das ansonsten für die Fahrschule von Ulrich Voss Hochzeitskutschen zieht. Wahrscheinlich geht „Troll“ mit in Rente – nach seinem Einsatz am Sonntag bei Dunkelheit, Polizeiblaulicht, Posauenchor und streichelfreudigen Kindern.