Witten. . Der sozialistische Einheitsstaat hat Spuren im Leben unserer Wittener Autoren hinterlassen. Sie erzählen von ganz persönlichen Erinnerungen

Als mich letztens meine Tochter zu meiner Schulzeit fragte, winkte ich ab: Das war in einem Land, das gibt es nicht mehr. Ich denke selten zurück an meine Kindheit in Ost-Berlin, wir wollen es mit dieser Seite am heutigen Tag tun.

Meine Erinnerung ist grau, riecht nach Kohleofen und dreht sich um das, was es alles nicht gab. Ich könnte meiner Tochter das Pionierlied „Unser blaues Halstuch“ vorsingen und von dem Wunsch erzählen, Fahnenträger beim Morgenappell in der Schule zu werden. Meine Eltern wollten lieber das Land verlassen. 1986 sind wir „mit Ausreiseantrag raus“. Hätten wir gewusst, wie nah das Ende war, wir hätten’s nicht getan.
Susanne Schild

Mauerteile nach Witten geholt

Detlef H. Mache
Detlef H. Mache © WAZ FotoPool

Als die Mauer fiel, habe ich zum Künstler Thierry Noir, mit dem ich befreundet bin, gleich gesagt: Reservier’ mir einige Stücke. Ich bin dann zu ihm nach Berlin gefahren. Im Schnee haben wir sie dann nach Witten transportiert, wo sie später von Thierry und Schülern der drei Gymnasien künstlerisch gestaltet wurden. Sie stehen auf dem Martmöller-Schulhof, jedes Mauerteil wiegt drei Tonnen. Als farbige Hingucker sollen sie junge Leute für deutsche Geschichte, aber auch für die künstlerische Gestaltung von Objekten interessieren.
Prof. Detlef H. Mache, Bildungs- & Kulturinitiative e.V.

Im Zug vom Mauerfall überrascht

Blanche Kommerell.
Blanche Kommerell. © WAZ

Ich war auf der Rückfahrt mit der Eisenbahn von Marburg nach Ost-Berlin, wo ich wohnte, als die Mauer fiel. In Marburg hatte ich für ein Buch über den mit mir verwandten Germanisten Max Kommerell recherchiert. Es war eine absurde Situation: Viele Passagiere in dem Zug hatten ihre Radios an und lauschten gebannt, während ich nicht wusste, was passiert. Denn damit hatte keiner gerechnet. Wenn man so möchte, hat mich der Fall der Berliner Mauer zwischen zwei Welten erwischt.
Blanche Kommerell, Schauspielerin und Dozentin der Wittener Uni

Frauen kontrollierten am schlimmsten

Thomas Nitsche.
Thomas Nitsche. © WP

Meine Mutter kommt aus Worbis im Eichsfeld. Bei den Verwandten in dieser Kleinstadt nahe Göttingen verbrachten wir in den 70er Jahren unseren Urlaub. In den ersten Jahren reisten wir mit den Zug nahe Eisenach über die Grenze und wurden im Abteil von den Volkspolizisten der DDR kontrolliert. Später geschah dies mit dem Auto am Grenzübergang in Duderstadt. Auto, Koffer und Taschen wurden komplett durchsucht. Spiegel wurden unters Auto gehalten, die Sitze inspiziert, der Tank wurde auf Länge und Inhalt untersucht. Am schlimmsten waren Frauen: Die untersuchten noch intensiver. Wir schickten regelmäßig Pakete nach „drüben“. Die leeren Kakaodosen, Trinkdosen oder ähnliches befanden sich später als Dekoration auf den Schränken unserer Verwandten
Thomas Nitsche

Uns stand die Welt offen

Steffen Hamann.
Steffen Hamann. © WAZ

Am 2. Oktober 1990 stand ich kurz vor Mitternacht mit meinen Mitschülern an einer Gaststätte in Sachsen-Anhalt und wartete auf das Feuerwerk zur Deutschen Einheit. Ich fragte mich wie alle anderen auch, was die Zukunft wohl bringen wird, denn im vergangenen Jahr waren die Möglichkeiten explodiert: Wir Jungs, 14 Jahre alt, mussten nicht irgendwann zur Volksarmee. Wir konnten Abitur machen und dann studieren, was wir wollten. Anstatt Ostsee und Thüringer Wald stand uns die ganze Welt offen. Meine Onkel und Tanten aus Hamburg wurden nicht mehr an der innerdeutschen Grenze zurückgewiesen - es gab gar keine Grenze und deren Bewacher mehr. Die SED und deren Jugendorganisationen waren unwichtig geworden, das große Bild Erich Honeckers hatten wir aus dem Schulflur abgehängt und in den Keller gebracht. Ich vermisse nichts. Steffen Hamann

Reisefreiheit ist das Beste im Westen

Franziska Bombach
Franziska Bombach © WP Michael Kleinrensing

Zweieinhalb Jahre war ich jung, als die Mauer fiel. Vor allem an die Reaktion meiner Mutter, die mit meiner Tante Fernsehen schaute, erinnere ich mich. In Ost-Berlin verfolgten sie die Nachrichten, konnten es nicht glauben, dass die Mauer gefallen war. Erst als mein Vater von der Arbeit heimkam und von den überfüllten Straßen erzählte, waren sie überzeugt. Im Sommer 1990 zogen wir um ins Ruhrgebiet. Mein Vater hatte ein Job-Angebot bekommen. Klar, es gibt einige Dinge, die im Osten gut waren. Das Sandmännchen, das war besser als das aus dem Westen. Deshalb haben Sandmann, Schnatterinchen und Pitti-Platsch ja den Sprung nach drüben geschafft. Der größte Vorteil des Westens? Die Reisefreiheit, sagt meine Mutter. Da kann ich ihr nur zustimmen.
Franziska Bombach