Sie singen Kirchenmusik und Klassik, Volks- und Wanderlieder, aber auch „Griechischer Wein” oder „Spanish Eyes”. Sie füllen damit nicht nur Kirchen, sondern locker auch den Saalbau. Die Rede ist vom Männerchor Witten-Bommern „Lyra” 1909.

Und der sei nicht nur der größte Chor im Sängerkreis Witten-Hattingen und der mit den meisten Konzerten, wie 1. Vorsitzender Heinz-Jürgen Freitag (58) betont – der Chor ist auch noch ganz schön alt: 100 wird er in diesem Jahr.

Dass er so eine lange Zeitspanne überdauerte und im Gegensatz zu vielen anderen Chören seine Mitgliederzahl hält, liegt an verschiedenen Faktoren. Die „Lyra”, wie die Sänger sich nennen, sei schon immer sehr familienorientiert gewesen. Die Herren bleiben nicht nur unter sich, sondern veranstalten etwa alle zwei Jahre eine große Familienfahrt sowie Feste und Ausflüge. Inzwischen, schmunzelt Freitag, „haben die Damen sogar ein Eigenleben entwickelt”. 25 Lyra-Frauen treffen sich jeden zweiten Mittwoch im Monat.

Dass die Familie nicht außen vor bleibt, bringt auch den männlichen Nachwuchs automatisch zum Singen. Wie bei den Freitags. Er sei über seinen Vater in den Chor gekommen, erzählt der Vorsitzende. Dass Sohn Jens (28) seit elf Jahren dabei ist, versteht sich von selbst. Und Schwiegerpapa Friedhelm Dümpelmann ist mit 85 der älteste Herr im Chor. „Singen verbindet eben Alt und Jung”, sagt Enkel Jens.

Am meisten erlebt mit der „Lyra” hat Günther Seils (72): Er singt seit fast 50 Jahren im Verein – und erinnert sich gern an alte Zeiten. Zum Beispiel an jenen Sonntag, als seine Frau morgens mit dem Kinderwagen durch den Ort zog und ihn suchte – die samstägliche Probe war etwas bierselig geraten. Doch sowas komme heute nicht mehr vor, allein deswegen, weil einige Mitglieder inzwischen aus Hagen, Hattingen, Wetter und Dortmund mit dem Auto zum Vereinslokal Haus Rauendahl anreisen.

Wenn sich hier dienstagsabends 60 bis 70 Männer im apricotfarbenen Raum im ersten Stock treffen, dann werden erst mal die grün gepolsterten Stühle im Halbkreis aufgestellt. „Und dann hat man keine andere Chance mehr als ans Singen zu denken”, sagt Heinz-Jürgen Freitag. Das sei zwar sehr entspannend, aber auch harte Arbeit. Schließlich verlangt Chorleiter Stefan Lex, selbst Profi-Tenor, Leistung.

Seine Sänger tragen auf der Bühne oft schwarzen Anzug und Fliege oder rote Weste mit Krawatte, aber manchmal – wenn's zum Programm passt – auch Seemanskostüme. „Man darf die Lieder nicht steif 'runtersingen”, sagt Vorsitzender Freitag. Ein bisschen Show müsse auch dabei sein. Und manchmal sogar ein Gaststar.

Die Zeiten des Quartettvereins – als solcher gründete sich „Lyra” einst – sie sind längst vorbei. Geblieben ist nur der Name, entliehen einem antiken Saiteninstrument. „Lyra” heute: Das ist beileibe keine alte Leier.