Witten. . Seit 54 Jahren züchtet Herwig Reiffert Brieftauben. Erst half er nur seinem Bruder – nach dessen Tod übernahm er die Zucht. Heute gehören ihm 300 Tiere, die bei Wettkämpfen regelmäßig Preise erfliegen.
Brieftauben sind Hochleistungssportler. Gefiederte, gurrende, geheimnisvolle Hochleistungssportler. Geheimnisvoll, weil bis heute nicht geklärt ist, wie sie es anstellen, Hunderte Kilometer von ihrem Schlag entfernt ausgesetzt, zielsicher den Heimweg zu finden. Das bleibt auch für Herwig Reiffert rätselhaft, obwohl er die Tiere schon immer um sich hatte. „Ich nehme an, dass sie sehr gute Augen haben“, sagt er, aber selbst das sei keine Erklärung für ihren besonderen Orientierungssinn.
Herwig Reiffert ist mit Tauben groß geworden, sein Vater hatte Tauben, sein Großvater hatte Tauben, sein Urgroßvater auch. „Nur in den letzten Kriegstagen mussten wir sie mal kurzzeitig abschaffen, denn wer Tauben hatte, geriet schnell unter Spionageverdacht.“
1959 mit der Zucht begonnen
Dass Herwig Reiffert heute Taubenzüchter ist, liegt eigentlich an seinem Bruder Willi. Der fing 1959 mit ein paar Tauben an, Herwig half ihm – immer nach seiner Arbeit als Hammerschmied in der Gesenkschmiede, und später bei Galladé. „Willi war der eigentliche Taubenzüchter, ich war nur der Gehilfe“, erzählt Herwig Reiffert, „er konnte jede Taube in der Luft beim Fliegen erkennen“.
1996 starb Willi Reiffert plötzlich und Herwig musste einige der mittlerweile mehrfach preisgekrönten Tauben verkaufen. Doch er führte die Zucht weiter, nahm an Wettkämpfen teil und blieb erfolgreich. „Man gibt sich Mühe“, sagt er, „andere fahren Radrennen, weil sie gewinnen wollen, wir wollen eben mit unseren Tauben gewinnen“.
Heute braucht Herwig Reiffert nur die Ringnummer zu hören, um zu wissen, welche von seinen 300 Tauben gemeint ist. Jeden Morgen um sieben geht er, noch im Schlafanzug, zum Schlag und lässt die Tiere fliegen: „Die müssen trainieren – wie jeder Sportler“, sagt er. Nach etwa eineinhalb Stunden lässt er sie wieder rein und schickt sie nachmittags noch einmal in die Luft. Zwischendurch reinigt er die Taubenschläge, sorgt für frisches Wasser und füttert seine Spitzensportler.
Mehrere Tausen Euro für eine einzige Taube
Eine Lieblingstaube hat er nicht: „Mir ist die am liebsten, die am schnellsten ist – und das ist jedes Mal eine andere“. Auch die Rasse ist ihm nicht so wichtig, obwohl mit einem Namen viel Geld verdient werden kann. Im Internet werden Zuchttauben mitunter für mehrere Tausend Euro ersteigert: 156 000 Euro zahlte ein Chinese 2011 für eine Spitzentaube. Herwig Reiffert hält nicht viel von diesen „Trend-Rassen“: „Eine gute, gesunde Taube fliegt immer noch am schnellsten.“
Wie es weitergehen soll, wenn er sich irgendwann nicht mehr um die Tiere kümmern kann, weiß der 75-Jährige nicht. „Früher war das Tradition, auf jeder Fensterbank saß eine Taube.“ Doch eine Tradition, die nicht weitergetragen wird, stirbt aus. Und der Taubensport hat Nachwuchssorgen.