Witten. . Vor zwanzig Jahren noch galt die Eulenart in Mitteldeutschland als ausgestorben. Ausgerechnet in Witten ließ sich ein Paar nieder - und lebt seit 16 Jahren im Steinbruch hinter der Zeche Nachtigall.

Eine der Attraktionen des LWL-Industriemuseums Zeche Nachtigall ist gefiedert: Ein Uhu-Paar lebt seit 16 Jahren auf der Rückseite des Museums, in einer Höhle im Steinbruch zum Muttental hin. Für den sehr seltenen und unter Naturschutz stehenden Greifvogel machte das Museum viele Zugeständnisse - gerne und freiwillig. Inzwischen ist die Familie ein Besuchermagnet. Das Besondere: Nirgendwo sonst kann man auf so kurze Distanz die scheuen Vögel beobachten, ohne sie zu stören.

Wie fängt diese Geschichte an? „Man hörte ihn rufen. Und das ist 16 Jahre her“, erinnert sich Förster Gerald Sell. Der ruhige Wittener engagiert sich für den Naturschutzbund und hilft als Greifvogelbeauftragter der Unteren Kreis-Landschaftsbehörde. Er legte sich also auf die Lauer, hörte das „Uhu“ des Männchens und das „Uho“ des Weibchens, hörte die Bettelrufe der Balz und sah Jungvögel.

Uhus in Witten - allein das ist schon eine Sensation. Vor zwanzig Jahren war die größte europäische Eulenart in Mitteldeutschland ausgestorben. Die Greifvögel waren regelrecht ausgerottet worden - indem man das Gelege wegnahm, die Vögel fing, erschlug oder vergiftete. Der Grund: Der Uhu gilt als unheimlich, unbeliebt, ein urwüchsiges Tier. Und er war Jagdkonkurrent, da man annahm, dass das die große Eule auch Kaninchen, Fasane oder Rehkitze erbeutete. Falsch: ihr liebstes Nahrungsmittel wiegt etwa 300 Gramm und ist die nachts am Ruhrufer häufig anzutreffende Wanderratte. Auch in Witten bemühte man sich um Aufzucht - etwa im damaligen Greifvogelpark auf dem Hohenstein. Der Nachwuchs wurde ausgewildert und geschützt. „Dass ausgerechnet hier einmal Uhus auftauchen, damit hätte ich nie gerechnet“, sagt Sell heute. Denn der Uhu lernte sich anzupassen - eine Überlebensstrategie.

Bis zu 30 Jahre können die Vögel alt werden, ob es nun dasselbe Pärchen ist, das an der Zeche Nachtigall lebt, mag Gerald Sell nicht beschwören. „Die Unfallgefahr gerade bei Jungtieren ist sehr hoch“, erklärt er. Des Uhus Feinde: Autos, Züge, Stromleitungen. Aber drei oder vier Jungtiere pro Jahr hält Sell auf Wittener Stadtgebiet durchaus für möglich. Wenn die im Mai und Juni die Gegend außerhalb der Steilwand auf der Zechenrückseite erkunden, ist der Weg darunter stets umlagert von 30 bis 40 Leuten mit Ferngläsern und Teleobjektiven. „Wir haben da leider nichts von“, schmunzelt Museumsleiter Klaus Peters.

Allerdings: Mit Eröffnung des Dünkelbergstollens passieren nun auch Besuchergruppen den Steinbruch. Sie bewegen sich in einem Laubengang aus Tarnnetzen - um des Uhus Ruhe willen. Leise sprechen, ruhig verhalten, raten die Stollenführer. Und als mit Netzen der Hang gesichert werden musste, geschah dies in der Winterzeit, um Brut und Aufzucht nicht zu stören. Gleichzeitig schnitt man für die Vogelfamilie die Sträucher zurück und bohrte ihre eine Ersatzhöhle ins Gestein - Abwechslung tut gut. Schlimmstenfalls könnte das brütende Weibchen aufgeschreckt werden und ihre Eier verlassen - zurückkehren würde sie nicht. Klaus Peters ist ein wenig stolz auf die Ko-Existenz von Besuchergruppen und der Vogelfamilie: „Das ist doch ein gelungenes Beispie, dass beides auf engstem Raum funktioniert.“